Mein Wahlkampf (German Edition)
Bundeswahlleiter nach Wiesbaden. Viel Zeit hatte er ja nicht, alles durchzuarbeiten und uns die Zulassung als politische Partei zu erteilen, denn schon in vier Monaten stand in Baden-Württemberg die Landtagswahl an, bei der ich mit meiner neuen Partei antreten wollte.
Doch kaum etwas passierte. Genau genommen gar nichts. War die Sendung vielleicht doch verlorengegangen?
Vier Wochen nach der Absendung rief ich im Büro des Bundeswahlleiters an.
«Hier Schmitt. Ich bin der Parteichef der Partei UFW – Die Unfreien Wähler –, ist Ihnen ja wahrscheinlich ein Begriff. Ich wollte mal nachfragen, ob Sie in der Sache schon entschieden haben.»
«Was entschieden?» Die Frau, die ich da am Rohr hatte, war beispiellos uninformiert. Ich brachte sie auf den aktuellen Kenntnisstand.
«Ich werde den Herrn Bundeswahlleiter fragen», sagte sie schließlich. «Rufen Sie doch am besten nach der Mittagspause wieder an.»
Das fand ich merkwürdig, denn für eine kurze Mitteilung, dass alles in Ordnung sei und ich sofort loslegen könne, brauchte es doch nicht lange. Aber bitte, wenn der Herr Bundeswahlleiter sich erst die Wampe vollschlagen musste – meinetwegen. Zwei Stunden später rief ich wieder an.
Die Sekretärin klang plötzlich viel entschiedener als noch beim ersten Telefonat.
«Der Herr Bundeswahlleiter hat Ihr Schreiben nicht beantwortet, weil er es nicht als ernsthaftes Ansinnen zur Gründung einer Partei wertet. Er behält sich im Übrigen eine Anzeige gegen Sie vor, wegen Nötigung, Beleidigung eines Amtsträgers und eventuell sogar wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Das wird derzeit noch geprüft. Ich kann Ihnen aber jetzt schon raten, in dieser Sache nicht weiter tätig zu werden und sich absolut ruhig zu verhalten. Sollten Sie dieses Verfahren weiter anstrengen, wird der Bundeswahlleiter in jedem Fall gegen Sie vorgehen. Ein weiterer Versuch der Gründung einer politischen Partei ist Ihnen hiermit jedenfalls definitiv untersagt. Schriftlich kriegen Sie das auch noch. Auf Nimmerwiederhören, Herr Schmitt.»
Unglaublich, was man sich in einer Demokratie von faschistoiden Amtsbütteln bieten lassen muss. Ich aber beschloss nun erst recht, Politiker zu werden.
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Der Wähler
Wo man ihn aufspürt und wie man ihn erfolgreich abfüllt
Wer genau ist eigentlich dieser ominöse Wähler? Wo lebt er? Was will er von mir? Und warum zickt er ewig rum, bis er mir seine mickrige Stimme überlässt? Gibt es ihn in Wirklichkeit überhaupt? Oder existiert er nur in der Vorstellung irrer Verfassungsorgane?
Helmut Kohl sprach immer in schlecht gespielter Ehrfurcht vom «obersten Souverän» – einer mächtigen Institution, der man mit Respekt und Offenheit begegnen solle. An Offenheit zumindest ließ es Kohls Großvater Konrad Adenauer nicht mangeln, als er nach der ersten Bundestagswahl 1949 das geheimnisvolle Wesen des Wählers beschrieb: «Der Durchschnittswähler denkt primitiv; und er urteilt auch primitiv.» Kein Wunder, dass es der alte Sack aus Rhöndorf wie kein Zweiter verstand, die Mehrheit der wählenden Primitivlinge erfolgreich hinter sich zu vereinen.
Doch nicht alle Politiker haben eine derart hohe Meinung von ihrem Arbeitgeber. Wertet man sämtliche verfügbaren Politiker-Biographien und -Interviews aus, kommt man nach über sechzig Jahren parlamentarischer Demokratie in Deutschland zu folgender Erkenntnis: Der Wähler ist ein unstetes, ephemeres Wesen, das die Sorgen und Nöte von Politikern oft überhaupt nicht wahrnimmt, die Existenzängste von Parlamentariern förmlich ignoriert und durch seine selbstherrlichen Fehlentscheidungen Karrieren zerstört, mühsam aufgebaute Netzwerke vernichtet und Seilschaften ruiniert – was in tragischen Einzelfällen bis zum völligen Diätenversagen führen kann.
Aber warum ist der Wähler so krass drauf? Warum diese Willkür, woher dieser Undank? Das kann nur verstehen, wer den Wähler persönlich kennenlernt, und zwar dort, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbringt: im Alltag. Mitten im Leben. Nur in der Zeit des Wahlkampfs hat der Politiker Gelegenheit, dem obersten Souverän näherzukommen und mit dem Stimmvieh in persönlichen Kontakt zu treten. Zum Beispiel beim Sammeln der lebensnotwendigen Unterstützungsunterschriften.
Das UU-Sammeln ist nicht nur die erste Bewährungsprobe für den Kandidaten, sondern vor allem für den Wähler. Mit seiner Unterschrift befürwortet der Unterzeichnende lediglich einen bestimmten
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