Mein Wahlkampf (German Edition)
Wahlvorschlag, er trifft noch keine Wahlentscheidung. Bevor ein Kandidat überhaupt erst auf den Wahlzettel kommt, sei es für Bürgermeister-, Landtags- oder Bundestagswahlen, muss er nämlich eine bestimmte, von der jeweiligen Wahlbehörde festgelegte Zahl an Unterstützerbögen anschleppen, die Wahlberechtigte aus dem jeweiligen Wahlkreis ausgefüllt und unterschrieben haben. Komplett ausgefüllt. Mit Geburtsdatum und Adresse. Mehr nicht. Zieht man aber erst einmal los, um potenziellen Unterstützern eine Unterschrift abzuluchsen, merkt man, wie viel das bereits ist. Für die meisten zu viel. Die überwiegende Mehrheit des Wahlvolks scheitert schon am Verständnis dieses Vorgangs.
«Guten Tag, ich möchte gerne Ihr nächster Oberbürgermeister werden. Würden Sie das eventuell mit Ihrer Unterschrift unterstützen?»
Aufgerissene Augen starrten mich an. Angst. Ratlosigkeit. Verunsicherung.
Nein, sie wollten nichts unterschreiben. Sie kannten auch weder ihr Geburtsdatum noch ihre Adresse. Von der Existenz einer Postleitzahl hatten sie nur mal vage gehört. Sie mochten mit niemandem Probleme kriegen. Sie mochten nichts kaufen. Sie wollten sich jetzt lieber nicht verpflichten, mich ein Leben lang wählen zu müssen. Es war nur einfache Basisdemokratie, doch das verstanden sie nicht. Eine für beide Seiten entwürdigende, zutiefst erniedrigende Situation.
Nach drei entmutigenden Stunden in der Fußgängerzone und brutto drei mühsam abgeschwatzten Unterschriften gab ich auf. Vielleicht war es ja sinnvoller, dort zu sammeln, wo ohnehin verständige Menschen versammelt sind: Ich ging zu einer Axel-Hacke-Lesung. Bestimmt bestand das Publikum des beliebten Humoristen und Ironikers aus gewitzten, gebildeten Menschen, für die Spaß und Demokratie durchaus keine Gegensätze waren.
Ich lungerte im Foyer herum, mählich verebbte der Zugabenapplaus, dann quoll endlich das Qualitätspublikum aus den Türen. Mit meinem freundlichsten Lächeln klapperte ich einen nach dem anderen ab – und kassierte eine freundliche Absage nach der anderen. Bis ich an drei Studenten mit gepflegten Hemden und gebügelten Stutzbärten geriet. Ich sagte mein Sprüchlein auf, dann hielt ich frohgemut die Unterschriftenbögen auf dem Clipboard hin. Ihr Lächeln erstarb.
«Ich möchte lieber nicht unterschreiben», sagte der eine.
«Ich auch nicht», sagte der andere.
«Ich finde, Politik ist eine zu ernste Sache. Damit sollte man keine Scherze machen», sagte der dritte, offenbar der Vordenker.
Ich erklärte, dass es hier sehr wohl um ernste Politik gehe, um die Ablösung einer abgewirtschafteten Kaste von Mitläufern, Hinterbänklern und Taschenvollstopfern, die durch eine Politikerkaste völlig neuen Typs ersetzt werden sollte.
Der Vordenker schabte mit der Hand nachdenklich in seinem Bart herum. Die beiden anderen sahen ihm ehrerbietig zu.
Ich fragte, ob sie denn eine Affinität zu einer Partei hätten.
«Ja, zur FDP», sagte der Vordenker, und die anderen nickten.
«Ihr wählt also FDP!», rief ich aufgebracht. «Ihr seid bestimmt Jurastudenten, und die ernsthafte Politik von Mister-Achtzehn-Prozent Guido Westerwelle, dem Teppichschmuggler Dirk Niebel und dem sprechenden Weinfass Rainer Brüderle ist euch eine zu wichtige Angelegenheit, um einen unbescholtenen Hoffnungsträger wie mich zu unterstützen? Ist das euer Ernst?»
«Ich finde es nicht gut, dass Sie jetzt eine so unnötige Schärfe in die Diskussion bringen», sagte der Vordenker und wandte sich ab, seine bärtigen Buddies folgten ihm.
Verdammt. Mit Druckmachen kam ich also auch nicht weiter.
Lustlos hielt ich einer älteren Dame den Bogen hin, erklärte mein Anliegen und sagte dann, irgendwie aus einer Unlaune heraus: «Aber wahrscheinlich wollen Sie eh nicht unterschreiben, und die Zettel sind ziemlich knapp.» Ich zog das Clipboard wieder weg.
«Moooment!», rief sie. «Geben Sie mal her!» Sie riss das Brett an sich, las den Bogen durch und unterschrieb.
Sofort probierte ich das noch mal. Ich hielt einem Herrn den Zettel hin, machte die Ansage und zog den Bogen gleich wieder zurück. Entschieden griff der Herr nach dem Blatt, studierte es und unterschrieb.
Die gleiche Reaktion beim nächsten Wähler. So ging das also – über den ökonomischen Kniff der künstlichen Verknappung!
Ich kehrte an einen Stehtisch zurück, zog drei von den hundert leeren Bögen, die ich noch dabeihatte, aus der Mappe, legte sie aus und schrie: «Nur noch ganz wenige Bögen,
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