Mein Wahlkampf (German Edition)
Sofort griff ich mir meine Schreibmaschine und begann anhand der Vorlage die «Satzung der Unfreien Wähler» herunterzutippen. «Unfrei» diesmal lieber richtig geschrieben, um etwaige Kritik seitens des Bundeswahlleiters schon im Keim zu ersticken. Manches übernahm ich aus Arolds Satzung, manches änderte ich, beispielsweise die Parteienstruktur in Paragraph fünf: «Die UFW gliedern sich in Mengen und Teilmengen. In dieser Gliederung vollzieht sich die politische Willensbildung der Partei.» Daraus folgte Paragraph sechs: «Alle Mitglieder einer Teilmenge wählen in geheimer Abstimmung deren Teilboss.» Worauf wiederum Paragraph sieben folgte: «Der Landesvorstand besteht aus dem Boss, dem Unterboss und dem Nikolaus.» Welche Funktion dem Nikolaus nun genau zukam – das zu klären, hatte ich damals wohl keine Zeit, keine Ahnung, jedenfalls gab es keine weiteren Ausführungen in diesem Satzungspunkt. Sollte sich doch der Bundeswahlleiter damit befassen. Der machte schließlich tagaus, tagein nichts anderes, als sich mit Parteien rumzuschlagen; mit seiner unglaublichen Erfahrung und Amtsgewalt würde er diesen Punkt bestimmt schnell geklärt haben.
Nach einigen weiteren Paragraphen über Kandidatenfindung, Wahlkreisvorschläge, abzuhaltende Parteitage und Mitgliedsbeiträge («Ein Mitgliedsbeitrag ist nicht vorgesehen») definierte ich in Paragraph fünfzehn die Zusammensetzung des Bundesvorstands: «Der Vorstand besteht aus dem Chef, dem Vize und dem Obernikolaus.» Aha, da war er wieder, der Nikolaus. Das würde sich bei der Prüfung bestimmt positiv auswirken, dachte ich wohl damals – zeugte es doch von einer gewissen Stringenz innerhalb der Satzung. Und siehe da: Einige Paragraphen später wurde die Funktion des Obernikolauses sogar genauestens beschrieben: «Veröffentlichungen des Parteivorstandes oder einzelner Mitglieder erfolgen im jährlich erscheinenden ‹UFW-Beobachter›. Die graphische Gestaltung des ‹UFW-Beobachters› übernimmt der Obernikolaus.» Zu bester Letzt verfügte die «Schlussbestimmung» unter Paragraph einundzwanzig: «Diese Satzung tritt am 8. November 1987 in Kraft.»
Um das langwierige Parteizulassungsverfahren noch entschiedener voranzutreiben, konstruierte ich auch gleich die Gründungslegende meiner neuen Partei und erstellte die Protokolle niemals stattgehabter Gründungssitzungen und ordentlicher Parteitage, inklusive aller Wahl- und Abstimmungsergebnisse. «Veranstaltungsort: im Nebenzimmer der Gaststätte Zum Guten Trunk.» In dieser heute nicht mehr erhaltenen Spelunke nahm die Demokratie ihren Lauf: «Ziel der Versammlung war es, die Partei der Unfreien Wähler zu gründen. Zum Protokollführer wurde in offener Abstimmung Herr C. gewählt, zum Versammlungsleiter, ebenfalls in offener Abstimmung (mit einer Gegenstimme) Herr K. […] Herr Schmitt wurde aufgefordert, von seiner Kontaktaufnahme mit dem Bundeswahlleiter zu berichten. Herr Schmitt kam dieser Aufforderung sofort nach und unterrichtete über den bürokratischen Vorgang der Parteiengründung.»
Nach der Unterrichtung ließ ich dann auch sogleich die Wahl des Parteivorstands in freier und geheimer Wahl geschehen, so wie es das Parteiengesetz vorsah: «Der Wahlleiter Herr K. erteilte der Wirtin den Auftrag, flugs zehn weiße, identische Bestellzettel beizubringen. Die Zettel wurden an die Anwesenden verteilt, diese notierten einzeln und nacheinander in der Telefonkabine der Gaststätte den Namen des von ihnen favorisierten Kandidaten, um die Zettel anschließend bei Herrn K. zusammengefaltet abzugeben. Hernach wurde das Ergebnis von Herrn K. unter dem anhaltenden Applaus der Anwesenden verlesen: Oliver Schmitt vier Stimmen, M. W. und U. K. jeweils drei. Zum geschäftsführenden Vorstand wurde daher Herr Schmitt berufen, Herr W. und Herr K. als seine Stellvertreter. Alle drei nahmen diese Wahl an und gaben jeweils eine Runde Jägermeister in Auftrag. Herr Schmitt erklärte abschließend die UFW für gegründet, alle Anwesenden zu Parteimitgliedern im Sinne des Parteiengesetzes und die Gründungsversammlung für geschlossen. Dem wurde mit einer Sonderrunde Weizenbier Rechnung getragen. Später löste sich die Versammlung dann in ihre Bestandteile auf.»
Kein Zweifel, ein historischer Vorgang. Ich packte sämtliche Unterlagen zusammen – die Protokolle der Gründungssitzung und des ersten ordentlichen Parteitags, das Parteiprogramm und die Satzung – und schickte alles per Einschreiben an den
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