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Mein Wahlkampf (German Edition)

Mein Wahlkampf (German Edition)

Titel: Mein Wahlkampf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Maria Schmitt
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mich schon längere Zeit gemustert hatte und den offenbar mein schwarzer Ledermantel beeindruckte, wanzte sich an mich ran und erklärte, dass er unsere forsche Art sehr gut finde. Die schmissige Musik auch.
    «Wissen Sie, eigentlich bin ich Sozialist», sagte er.
    «Sehr gut – ich auch», pflichtete ich ihm bei.
    «Ich bin aber auch national.»
    «Hervorragend. Dann sind Sie ja praktisch – Nationalsozialist?»
    «Genau», sagte der Mann und strahlte mich zufrieden an. Nach all den Jahren hatte er endlich wieder einen Parteigenossen gefunden.

    Im Frankfurter Wahlkampf verließ ich mich nicht mehr auf kalten Glühwein und Irritation. Jetzt wollte ich die breite Masse erreichen, die einfache Mehrheit, mindestens, wenn nicht sogar die sichere Zweidrittelmehrheit aller Wähler. Deshalb setzte ich auf kaltes Bier. Der Landesvorsitzende hatte einen anonymen Getränkespender aufgetan, der uns zehntausend gut gefüllte Bierflaschen mit ablaufendem Haltbarkeitsdatum überließ. Die mussten dringend unter die Leute.

    Besonders im direkten Bürgerkontakt sind Politikerqualitäten gefragt: Ohren auf Durchzug und immer ein freundliches Lächeln, solange Fotografen in der Nähe sind.
    Wir bauten unseren Wahlkampfstand auf, direkt an der Zeil, der Frankfurter Einkaufszone. Rechts und links türmten wir sixpackweise das Alt-Bier auf. Es dauerte nur Augenblicke, dann hatte sich die Nachricht wie ein Sauffeuer in der Frankfurter Innenstadt verbreitet: Freibier! Das schlägt alles. Es war, als ob man ein Hackfleischbällchen ins Piranhabecken geworfen hätte. Innerhalb weniger Minuten war das politische Fußvolk des Rhein-Main-Gebiets rund um unseren kleinen Wahlstand versammelt.
    Wir mussten überhaupt nichts mehr tun. Für eine Flasche Bier taten die Menschen schlechterdings alles. Sie unterschrieben, was man ihnen vorlegte. Es waren zwar nur Unterstützerbögen, es hätten aber auch Vermögensabtretungen, Entmündigungserklärungen oder – wer weiß – die eigenen Todesurteile sein können. Sixpack um Sixpack verschwand in der Menge, streckenweise brach der umliegende Verkehr zusammen, weil sich auch Autofahrer ein paar Freibier sicherten. Zwischen unaufhörlichem Flaschenklirren und Kronkorkenploppen entspann sich manch fruchtbarer politischer Dialog.
    Eines ist jedenfalls sicher: Dass der kleine Mann auf der Straße, der gemeine Wähler am Tresen, politikverdrossen sei, stimmt gar nicht. Wie oft hatte ich im Rahmen dieser Bürgersprechstunden die Gelegenheit, etwas vom aktiven Gestaltungswillen des obersten Souveräns zu erfahren. «Die Arschlöschä, die mache doch eh, was se wolle», das war ein häufig geäußerter Grundsatz. Und während die einen sagten: «Die Politikä, die gehöre doch alle einzeln aufgehängt, gevierteilt und auf de Mond geschossä», meinten die anderen, dass der Mond dafür zu schade sei. Das zeigt doch, dass man den Wähler viel aktiver am politischen Geschehen beteiligen sollte, damit diese nachvollziehbaren Ziele auch direkt und unbürokratisch umgesetzt werden können!
    Der Politkommissar überließ diese Standgespräche lieber mir. Er zog es vor, die Sixpacks an vorbeilaufende Passanten zu verteilen. Zum Beispiel an zwei Jungtürken, die vorbeisneakerten.
    «Hey, wollt ihr Bier?»
    «Alder, schtrink kein Alkohol! Schbin Moslem!»
    «Ist Freibier.»
    «Escht? Nehmsch zwei.»
    «Zwei Flaschen?»
    «Zwei Sixpacks, Alder!»
    Auch andere Migrantengruppen wurden vom Fleck weg integriert. Ein kurzgewachsener Grieche kam an den Stand und sprach die Worte: «Hallo, ich bin Grieche. Was ist hier los?»
    Nachdem er bestätigt hatte, dass er in Frankfurt wählen durfte, erklärte ich ihm unser Konzept: «Wenn Sie mich zum Oberbürgermeister wählen, bekommen Sie jetzt sofort ein Freibier. Und nach der Wahl werde ich auch jeden Samstag hier stehen und Freibier verteilen. Aber nur an Griechen.»
    Das leuchtete dem Mann sofort ein, dankbar griff er sich das Bier und verschwand. Zehn Minuten später war er wieder da, mit einem weiteren Herrn im Schlepptau.
    «Der ist auch Grieche. Der wählt dich auch.» Ein weiteres Bier wechselte den Besitzer. Zehn Minuten später waren sie schon zu dritt. Der Kleine deutete auf den Dritten: «Der da ist auch Grieche, er wählt dich auch. Wenn du mehr Bier gibst, dann hol ich meine ganze Familie, die wählen dich alle.»
    Jetzt verstand ich, warum es für einen Politiker so wichtig ist, Migrantenkontakte intensiv zu pflegen. Hat man erst mal einen, dann hat man gleich

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