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Mein Wahlkampf (German Edition)

Mein Wahlkampf (German Edition)

Titel: Mein Wahlkampf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Maria Schmitt
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Auch wenn es von klein auf mein größter und sehnlichster Wunsch war, als Führer einer eigenen Partei dazustehen. Dass es nämlich durchaus möglich war, mit einer neuen Partei in den Bundestag zu kommen, hatten die Grünen in meinen politischen Anfangsjahren vorgemacht: 1980 bundesweit gegründet, waren sie schon 1983 im Bonner Bundestag vertreten. Genau so hatte ich das auch vor, gemeinsam mit Freunden, die mit mir in der Punkband «UVW – Die UnVreien Wähler»aufrüttelnden Krach machten. Der Bandname deutete unsere politischen Ambitionen bereits an, ein Reflex auf die vielen freien Wählervereinigungen, die auf kommunaler Ebene aktiv waren. Die absichtliche Falschschreibung fanden wir erst recht cool, schon allein weil die Abkürzung «UVW» viel besser klang als «UFW».
    Politisch aktiv zu sein war in den achtziger Jahren noch Ehrensache. Nur Spießer und Versager änderten nichts und ließen alles mit sich geschehen. Wir waren fest auf das linksalternative Meinungspaket gebucht, waren entschieden gegen Nachrüstung und den NATO-Doppelbeschluss, gegen die Pershing-Atomraketen vor unserer Heilbronner Haustüre, gegen die Volkszählung und erst recht gegen den Überwachungsstaat. Das hieß aber noch lange nicht, dass wir für Hippies, Friedensbewegung und Menschenketten waren.
    Unser Vorbild war UngüLtiG, eine Partei, die 1985 von dem damals dreiundzwanzigjährigen Studenten Hans Arold in Frankfurt gegründet wurde. Um des nicht geringen Scherzes willen, auf dem Wahlzettel sein Kreuz neben dem Wort «UngüLtiG» machen zu können, hatte er mit Freunden die «Union nicht genug überdachten Lächelns trotz innerer Genialität» gegründet – und bei der Frankfurter Kommunalwahl 0,2 Prozent der Stimmen abgeräumt. Mit diesem phantastischen Ergebnis im Rücken wollten Arolds Leute, unterstützt und getragen von rund sechshundert Parteimitgliedern, bei der Bundestagswahl 1987 antreten.
    Hans Arold schien mir die Rettung zu sein. Um 1988 mit einer eigenen Partei bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg antreten zu können, hatte ich mich bereits über die komplizierten Modalitäten des Parteigründungsverfahrens informiert, hatte mir vom Bundeswahlleiter mehrere Kilogramm Unterlagen zuschicken lassen, das Parteiengesetz, Merkblätter zur Wahlzulassung und auszufüllende Formblätter, hatte mir in den Parteizentralen von CDU, SPD und FDP die jeweilige Parteisatzung aushändigen lassen und saß nun ratlos vor diesem bürokratisch-demokratischen Galimathias und wusste nicht weiter. Musste ich das alles lesen und verstehen? Sollte ich wirklich Hunderte Seiten Parteistatuten und Programme durcharbeiten und exzerpieren, nur um eine kleine, schäbige Partei zu gründen? In meiner Not schrieb ich Hans Arold an.
    Er antwortete sofort. Der UngüLtiG-Parteichef riet mir, einen baden-württembergischen Landesverband seiner Partei zu gründen, inhaltliche Vorgaben müssten wir nicht fürchten: «Aufgrund des vorherrschenden Antidogmatismus innerhalb der UngüLtiG könnt ihr absolut machen, was ihr wollt, und hättet an Formalitäten nur noch eine Gründungsversammlung abzuhalten.» Er legte ein aktuelles Flugblatt bei:

    Neu! Wählen ohne Stimmabgabe!
    Denn jetzt gibt es die «Union nicht genug überdachten Lächelns trotz innerer Genialität» – UngüLtiG

    Diese Vorzüge sprechen für sich:
     
Jede Stimme an uns ist verschenkt
Garantiert weiße Weste auch bei 60%
Öffentlichkeitswirksame Repräsentation der Nicht- und Ungültigwähler
Saufen bis zum Morgengrauen; Abschaffung der Polizeistunde
Nulltarif für Jazz-Bahnen und Punk-Busse
Völlige Liquidierung der Automobilindustrie
Umwandlung von Autobahnen in Therapiezonen zum Abbau von Aggressionen
Friedfertiger Umgang mit fremden Universen; Tolerierung exterrestrischen Lebens
Besetzung aller leerstehenden Häuser, Enteignung aller Hausbesitzer
Abschaffung aller Privilegien innerhalb der Familie
Wir haben keine Geheimnisse
Oppositionsgarantie: Dauer – zich Jahre
    Das las sich gut, war vernünftig, sehr fundiert und auf längere Sicht bestimmt auch mehrheitsfähig. Noch beeindruckender fand ich allerdings die Satzung der UngüLtiG – sie war bereits für die Kommunalwahlen anerkannt worden. Am meisten imponierte mir ihre Übersichtlichkeit: Alles passte auf eine DIN-A4-Seite!
    Aus Originalitätsgründen kam es für uns aber nicht in Frage, einen Landesverband der UngüLtiG zu gründen. Nur mit einer eigenen Partei würden wir eigene Interessen durchsetzen können.

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