Mein Wahlkampf (German Edition)
rochen, nach dem immer gleichen, mal hell-, mal dunkelroten Gemütlichkeitsanstrich. Sie sahen aus wie Architekturmodelle, und genauso belebt waren sie auch. Menschen gab es keine.
Ein Neubaugebiet. Auf meinem Stadtplan war es nicht verzeichnet. Ich überlegte, ob ich die Frankfurter Rundschau anrufen und die Entdeckung eines neuen, noch unbekannten Stadtteils melden sollte. Als Entdecker hätte ich bestimmt auch das Benennungsrecht. Doch während ich noch darüber nachdachte, ob «Schmittstadt» wirklich ein guter Name war, merkte ich, dass ich mich völlig verfahren hatte. Schon zum dritten Mal zuckelte ich über eine Kreuzung, die ich zuvor schon, aus anderen Richtungen kommend, überquert hatte.
Nach endlosem Herumgegurke sah ich endlich einen älteren Herrn. Er war mit seinem Hund unterwegs, um ein bisschen Urin in der Nachbarschaft zu verteilen. Ich kurbelte die Scheibe runter.
«Guter Mann, haben Sie eine Ahnung, wie ich aus der Scheiße hier wieder rauskomme? Mein Name ist übrigens Boris Rhein, und wenn ich hier Oberbürgermeister bin, lasse ich alle Köter verbieten, und Ihrer wird zuerst eingeschläfert.»
Der Mann hörte wohl schwer, denn er antwortete: «Sinn Sie von dä Stadtreinigung?» Dann erklärte er mir den Weg zu den seiner Meinung nach schmutzigsten Ecken dieses Viertels und wandte sich seinem Hund zu, um die Urinverteilung wieder aufzunehmen.
Verärgert parkte ich das rote Vehikel auf einem freien Behindertenparkplatz, klemmte eine Boris-Rhein-Autogrammkarte unter den Scheibenwischer und enterte einen düsteren Mietwohnungsklotz. Im Hauseingang waberten Fäkalschwaden, der Aufzug war kaputt. Ich konnte also nur Bürger im Erdgeschoss ansprechen, das Treppensteigen zahlte mir eh keiner. Ich klingelte irgendwo.
Hinter der ersten Wohnungstür, die sich öffnete, erschien eine ältere Dame mit wirrem Grauhaar, ihre Zweitfrisur hatte sie augenscheinlich verlegt. Brav sagte ich das Sprüchlein auf, das ich mir gemeinsam mit dem Politkommissar zurechtgelegt hatte: «Hallöchen, ich bin Rhein und will rein. Wussten Sie eigentlich, dass ich zusammen mit einem schwulen Bordellbesitzer eine Haschplantage betreibe, wo Nacktpflückerinnen aus der Ukraine arbeiten, die unter Tarif bezahlt werden?»
«Oh, kommese rein, Herr Rhein! Wir haben Sie schon erwartet!», rief die Dame erfreut. Und zerrte mich in ihre Neubauwohnung.
[zur Inhaltsübersicht]
Die Kinder
Wie man mit lan und lol die Posse auf dem Schulklo rockt
Wenn Politik gemacht wird, leiden die Kinder am meisten. Das ist das traurige Fazit meines lebenslangen Kampfes für die Rechte der Kinder und der Jugend. Der Mann, der das ändern wird – das bin ich selbst. Wenn ich erst mal an der Macht bin, dann werde ich der Kanzler der Kinder. Das habe ich mir fest vorgenommen. Kinder sind schließlich unsere Zukunft!
«Eine Zukunft ohne Kinder, das wäre doch wie eine Zukunft ohne … ohne Zukunft!», rief ich schon im Frankfurter Wahlkampf.
Aber mein kleines Auditorium schien noch nicht ganz überzeugt. Der mächtige Landesvorsitzende und die Praktikantin Chantal gingen irgendwelche Tabellen durch, und der Inspizient meinte, an diesem Claim müssten wir ja wohl noch feilen. Nachdenklich schaute er aus dem Fenster, hinaus ins trübe Winterwetter.
Ja, es war ein verstockt trüber Samstagnachmittag, an dem wir wieder einmal im war room der Kampa-Gaststätte Klabunt saßen und neue Strategien des Stimmenfangs checkten. Zuvor hatten wir die steinigen Äcker der Wählerschaft auf der Suche nach gesellschaftlichen Randgruppen durchpflügt, die von den Altparteien irgendwann vergessen, übersehen oder ignoriert worden waren – um ihnen unsere Partei als politische Heimat anzudienen. Eher zufällig waren wir dabei auf die Peergroup der Kinder gestoßen.
Am Vortag hatte ich zwei Kleinwüchsige beobachtet. Sie standen vor einem meiner Wahlplakate, auf dem ich eine große Bombe in den Händen hielt, deren Zündschnur munter brannte. Darüber stand «Zukunft gestalten», darunter der bewährte Emo-Claim «Oliver Maria Schmitt – Frankfurts OB der Herzen». Lange und intensiv betrachteten die beiden Buben das Plakat.
«Was steht ’n da?», fragte der eine.
«Zu…kunft … ge…stal…ten», las der andere vor.
«Und darunter?»
Der Zweite buchstabierte mühsam meinen Namen, und dann: «Frank…furts … Null-B … der Herzen.»
«Null-B?»
«Ja, Null-B.»
«Hihihi, Null-B.»
«Voll der Honk, hihi», lachte der Buchstabierer und zog mit dem
Weitere Kostenlose Bücher