Mein Wahlkampf (German Edition)
war ein neuerlicher Kick, ein weiterer Tropfen Benzin für den schon auf Reserve laufenden Wahlkampfmotor. Doch ohne diese Kontrolle ging es nicht. Gerade jetzt, in der Wahlkampfschlussphase – an den Bundestagswahlkampf wollte ich noch gar nicht denken –, musste ich hochkonzentriert sein. Denn die Dinge waren gerade dabei, sich nach allen Regeln der politischen Kunst zu überschlagen.
Die Hiobsbotschaft kam telefonisch. «Eine Riesenscheiße ist passiert: Die Piraten sind mit einem Kaninchenplakat rausgekommen!», schrie ganz außer sich der Politkommissar. «Und ein süßes Katzenmotiv haben die auch noch, diese Hunde.» Unser eigenes Kaninchenplakat komme hingegen erst noch aus der Druckerei – und dann werde es bestimmt heißen, wir hätten bei den Piraten geklaut. «Das ist der Super-GAU», keifte der Kommissar aus dem Hörer und schlussfolgerte: «Das kann kein Zufall sein, da ist irgendwo eine undichte Stelle. Und ich weiß auch, wo!» Nein, es gebe keine andere Möglichkeit, nur der Aktivist könne es gewesen sein, der habe gepetzt, außer uns habe er als Einziger von unseren Plakaten gewusst. Dafür werde er, der Kommissar, noch Beweise finden. Mit dem Landesvorsitzenden habe er bereits gesprochen – der sehe das auch so. «Uns bleibt keine Wahl», schloss wahllos der Politkommissar, «angesichts der Ungeheuerlichkeit der Vorwürfe müssen wir ihn vor ein Parteigericht stellen.»
Zeitgleich meldete sich telefonisch ein unbekannter Mann beim Landesvorsitzenden. Er sei «Geschäftsmann» und Gründungsmitglied der Frankfurter Piraten, sei aber, als es um die Wahl des Spitzenkandidaten ging, «ausgehebelt» worden, in nicht öffentlicher Sitzung mit geheimer Abstimmung – ein klarer Verstoß gegen das Transparenzgebot der Piratenpartei. Dann fing er an, über seine Parteigenossen auszupacken. Es fielen Worte wie «Stricher», «drogenabhängig», «korrupt», «Zuhälter», «Erpressung» und «geheim». Gegen die Zahlung einer «Aufwandsentschädigung» sei er bereit, Namen zu nennen, die wir an die Presse weitergeben könnten, ja sollten – sein eigener, des Geschäftsmannes Name, dürfe allerdings nicht genannt werden. Auf den Hinweis des Landeschefs, dass ohne Nennung einer Quelle oder eines Zeugen die Anschuldigungen keine Beweiskraft hätten, reagierte der Geschäftsmann irritiert, ja ungehalten und legte auf. Was war da nur los?
Diskret informierte ich den Aktivisten über die Anschuldigungen, die gegen ihn erhoben wurden. «Das ist ein ganz primitiver Racheakt», sagte der nur. «Der Politkommissar ist doch nur eifersüchtig auf Chantal und will mir was anhängen. Lass mich das mal checken.»
Wenige Stunden später wurde er bei mir vorstellig, klappte seinen Rechner auf und führte mir vor, wie er gerade in das interne Informationsnetz der Piraten eingedrungen war und dort folgende Rundmail gefunden hatte: «PARTEI-Kandidat macht Tierplakate. Können wir zuvorkommen?» Diese Nachricht kam von einem Account namens «pi 82», die der Aktivist einer ganz bestimmten IP-Adresse zuordnen konnte – der des Politkommissars. Am Abend stellten wir ihn im Hinterzimmer der Kampa-Gaststätte zur Rede.
«Ich bin einer von euch! So glaubt mir doch!», rief der Politkommissar und knetete hektisch seinen Spitzbart, als wir ihm die Beweise präsentierten. Der Landesvorsitzende war fassungslos. Chantal weinte. Ich tröstete sie: «Hättest du dich für mich entschieden, Chantal, dann hätten wir dieses Affentheater jetzt nicht. Vor mir hat der Kommissar nämlich Respekt, er hätte sich mit deiner Entscheidung abgefunden.»
Da die Beweislast erdrückend war, legte der Politoffizier die Karten auf den Tisch: «Ich hab das alles nur für unsere Partei getan, ich bin sozusagen Doppelagent. Um bei den Piraten Vertrauen zu genießen und bei internen Entscheidungen dabei sein zu können, musste ich die natürlich hin und wieder mit Interna aus unserem Laden versorgen. Die glauben, ich wäre einer von denen, dabei bin ich doch einer von euch!»
Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie überzeugte mich das.
«Außerdem bin ich mir sicher, dass wir den Piraten was anlasten können!», rief der Spitzbart und sah uns aus bedenklich flackernden Äuglein an. «Mao sagt: ‹Politik und Taktik sind das Leben der Partei.› Jetzt weisen wir denen einfach auf unserer Homepage nach, dass wir zuerst mit dem Karnickelmotiv am Start waren – und stellen sie als Plagiatoren hin! Als Diebe geistigen Eigentums!»
«Aber das
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