Mein Wahlkampf (German Edition)
Geburtstags-, Verlobungs- und Klausurabschlusspartys, feierten mit Techno-DJs, Jazzmusikern oder schwulen Rockern, brachten im Vereinsheim der Frankfurt Hools Partybier mit inzwischen abgelaufenem Haltbarkeitsdatum vorbei und rannten weg, bevor es jemand merkte, besuchten Clubpartys, Stehempfänge und eine Seniorenstiftfeier – bis wir schließlich in einem Striplokal im Rotlichtviertel zum letzten Mal erschöpft mit der Spendenbüchse klapperten.
Gut die Hälfte der deutschen Wähler ist männlich, der Rest lebt häufig mit Männern in Zugewinngemeinschaft oder wilder Ehe. Deshalb ist ein Männerwahlkampf nie verkehrt.
In der ersten U-Bahn, die morgens fuhr, machten wir Kassensturz. Bruttoeinnahme: 86,24 Euro. Dazu jede Menge Kronkorken, DDR-Aluchips, Jackenknöpfe, Zigarettenkippen und PARTEI-Buttons. Außerdem eine Handvoll Joints, zwei Friedman-Briefchen und ein noch nicht eingelöstes Rezept über «100 Stck. Schilddrüsentabletten», das der Landeschef sofort gierig konfiszierte.
«PR-mäßig ein Erfolg, finanziell ein Debakel», fasste ich das Ergebnis der Call-a-Candidate-Aktion am nächsten Tag zusammen, als ich meine letzte Pressekonferenz vor der Wahl eröffnete. Mit Hilfe diverser, selbst mir unverständlicher Balken- und Tortendiagramme präsentierte ich dann unsere Hochrechnungen für das bevorstehende Wahlergebnis, das mir mit siebenundsechzig Prozent Schmitt-Stimmen einen klaren Sieg bescherte. Diese Hochrechnungen seien nach modernsten wissenschaftlichen und nicht zuletzt metaphysischen Erkenntnissen errechnet worden, führte ich aus und deutete auf das vor mir auf dem Rednerpult stehende Namensschild. Darauf stand: «Dr. Oliver Maria Schmitt».
Ich hätte mich nämlich promovieren lassen, sagte ich, um einerseits den Wissenschaftsstandort Deutschland zu stärken und andererseits der Politik wieder zu mehr Glaubwürdigkeit zu verhelfen. Denn im Gegensatz zu meinen Kollegen Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Annette Schavan (CDU), Silvana Koch-Mehrin (FDP), Uwe Brinkmann (SPD) und Jorgo Chatzimarkakis (FDP), denen der Doktortitel aufgrund erwiesener Abschreiberei aberkannt wurde, ist mein Titel absolut echt. Das bewies die gestempelte Urkunde, die ich nun hochhielt. Sie belegte zweifelsfrei, dass mir der Senat der Miami Life Development Church & Institute, Inc. im Rahmen einer postalischen Versandzeremonie den Titel «Dr. h. c. of Metaphysical Sciences» verliehen hatte.
Im Gegensatz zu Koch-Mehrin, Schavan, zu Guttenberg und vielen anderen ist mein Doktortitel echt. Er hat schließlich stolze neununddreißig Euro gekostet.
Dass mich dieses gesellschaftliche Upgrade via Sammelbestellung über ein Internet-Gutscheinportal statt einhundertfünfzig gerade mal neununddreißig Euro gekostet hatte, erzählte ich lieber nicht. In den USA dürfen Kirchen derartige Titel gegen eine Spende vergeben, über sechzig Wissenschaftsgebiete stehen zur Auswahl. Ich hätte genauso gut Doktor der Ufologie, des Exorzismus oder der Aromatherapie werden können – entschied mich aber für das klassische Feld der metaphysischen Wissenschaften. Zwar müssen bei der Führung des Titels die verleihende Institution und der Zusatz «h. c.» für honoris causa – ehrenhalber – stets mitgenannt werden; doch aus irgendeinem Grund war auf meinem Namensschild das «h. c.» vergessen worden. Womit ich eigentlich gar nicht unzufrieden war.
Die Pressekonferenz war gut besucht und generierte zahlreiche Artikel und Sendeminuten. Leider hatten wir die Medien nicht immer so gut im Griff. Manche machten einfach, was sie wollten. So hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Reporter in eine meiner «Trinker fragen, Politiker antworten»-Veranstaltungen eingeschleust, der anschließend verbreitete: «In den Logen der Fußballarenen wird man ihn vergeblich suchen, bekannte Schmitt. Der FSV Frankfurt gehe ihm ebenso ‹am Arsch vorbei› wie die Eintracht.» Das mag ich zwar so gesagt haben – aber deswegen muss man das ja nicht gleich weitermelden! Was, wenn das meine Freunde von den Frankfurt Hools lasen? Das würde mich nicht nur Stimmen, sondern möglicherweise auch die körperliche Unversehrtheit kosten.
Nur durch knallharte Medienkontrolle hatte ich das überhaupt herausgefunden. Tagsüber machte ich Wahlkampf, abends saß ich vor dem Rechner, um Lokalblätter zu kontrollieren und Facebook-Likes zu überprüfen. Wenn ich googelte, googelte ich nur noch mich selbst. Jede neue Meldung, in der mein Name auftauchte,
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