Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
Vom Netzwerk:
Eine Werbung dieser Art war auf dem Subowskaja-Platz, eine andere neben der Post auf dem Neuen Arbat. Bis dahin waren alle daran gewöhnt, nur sowjetische Werbung vom Typ ›Fliegen Sie mit den Flugzeugen der Aeroflot‹ oder ›Bringen Sie Ihr Geld auf die Sparkasse‹ zu sehen. Und nun kam auf einmal eine völlig neue Werbung auf. Ich hatte das Jahr zuvor im Ausland verbracht, in London. Als ich zurückkam, holte mich Igor Pissarski in die Agentur. 82 Slawa Surkow war der Chef. Ich weiß nicht, ob von der Stellung her, aber de facto auf jeden Fall. Er und Julia Wischnewskaja, seine Frau. Nun denn, irgendwann schaute ich also einmal in seinem Büro vorbei. Surkow sitzt da und raucht. Sieht mich an, kneift die Augen zusammen und sagt: ›Wanja, ich muss mit dir reden.‹ So nach dem Motto: Nichts Schlimmes, tut nicht weh, wir fahren jetzt zu den Proben.
    Später haben wir alle darüber gelacht … Die Sache war die, dass ich mir von dieser Auslandsdienstreise ein englisches Sakko mitgebracht hatte. Eigentlich kam es zwar aus Italien, aber jedenfalls war es ein gutes Sakko. Es saß wie angegossen. Und ein Sakko ist wichtig! Irgendwer hatte mich darin gesehen, entweder Julia oder Slawa. Sie wussten also, dass ich ›Arbeitskleidung‹ besaß. Ich denke, das hat eine nicht ganz unwichtige Rolle gespielt. Slawa sagte nämlich: ›Wir fahren jetzt zu Probeaufnahmen. Nimm dein Sakko mit. Ein Hemd und einen Schlips suchen wir gleich noch dazu aus.‹ Ein Hemd und einen Schlips hatte ich auch. Und so fuhren wir los. Nicht zum Fernsehen, sondern zur Presseagentur Novosti, dorthin, wo jetzt RIA Novosti sitzt, an den Subowskaja-Platz. Und da haben wir dann in irgendeinem Korridor die Aufnahmen gemacht. Der Kameramann sagte mir: ›Du musst nichts machen. Schau einfach hierher in die Kamera, aber nicht so richtig ins Objektiv, sondern weiter, hinter das Objektiv, hinter dem Objektiv siehst du das Meer. Und auf dieses Meer musst du eine Minute lang schauen, und weiter machst du nichts.‹ Ich setzte mich und blickte durch das Objektiv hindurch auf das Meer. Offenbar hatte das gut geklappt, denn der Kameramann sagte: ›Klasse! Das war’s, wir sind fertig.‹
    Na gut, also Probeaufnahmen. Ich wusste nicht einmal, wofür … Einige Tage später erschien dieser Streifen auf dem Bildschirm, gleich nach den Nachrichten von ›Wremja‹. Da lief ein Werbeblock. Werbung war gerade erst ins Fernsehen gekommen. Es gab eine Werbung von Olivetti, im Vordergrund lief die Uhr von ›Wremja‹, und danach kam ich, der durch die Kamera auf das Meer schaute und nichts sagte. Das ging eine Minute so. Auf dem Bildschirm war nichts außer dem Sakko, dem Krawattenknoten und meinem Kopf, der seit 1990, glaube ich, nicht mehr beim Friseur gewesen war. Keine Schrift, nichts. Kein einziges Wort. Deswegen wurde ich ja der ›schweigende Sprecher‹ genannt.«
    Leonid Newslin: »Wir bereiteten uns auf die Umwandlung der Bank in eine Aktiengesellschaft vor. Es war überhaupt die erste Umwandung dieser Art im Land. Damals fand ein interessantes Gespräch statt. Die Sendung ›Wremja‹ ist ja gewissermaßen das Gesicht des Landes. Die wichtigste Nachrichtensendung im Fernsehen. Der Vorspann kommt, und schon setzen sich alle hin, um die Nachrichten zu sehen. Und dann kam, wenn du dich erinnerst, plötzlich eine Werbung der italienischen Firma Olivetti. Das war ein Schock! Und da fiel es Surkow, glaube ich, ein. Oder Chodorkowski, und Surkow sprach es aus: ›Warum versuchen wir nicht jetzt, wo wir vor der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft stehen, diese Ausstrahlung von Zuverlässigkeit und Sicherheit der Sendung ›Wremja‹ mit dem Namen der Bank zu verbinden? Indem wir da statt ›Olivetti‹ den Namen ›Menatep‹ einblenden lassen?‹ Das war Surkows Projekt.«
    Iwan Tschuwelew: »Dieses Schweigen hielt, glaube ich, rund drei Wochen an. Lange jedenfalls. Alle Verwandten hatten ihre Telefone abgeschaltet, weil ihre Bekannten ihnen mit ihren Fragen schon auf den Wecker gingen, alle waren schließlich neugierig. Dabei wussten sie genauso wenig! Also riefen sie mich an: ›Was soll das?‹ Ich wusste aber auch nicht, was das sollte. Niemand wusste, was das sollte! Auch bei Menatep selber nicht. Wirklich! Eigentlich glaube ich, sie haben dieses Ding gesendet, um die Werbeidee danach an irgendwen zu verkaufen. Schließlich konnte sich die Sache von der schweigenden Figur aus in jede beliebige Richtung weiterentwickeln.
    Dann sagte Surkow: ›Okay, nach

Weitere Kostenlose Bücher