Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
den Gesetzen des Genres muss man die Dramatik jetzt steigern, die Erwartung verstärken, die Spannung muss wachsen. Du musst sagen …‹ Ich war platt. Wie bitte? Schweigend in der Glotze sitzen ging ja noch, aber auch noch etwas sagen – das war schließlich ein eigener Beruf, das konnte ich nicht. Er sagte: ›Macht nichts, wir kriegen das schon hin!‹ Diesen zweiten Teil haben wir dann im Studio aufgenommen, jetzt schon nach allen Regeln der Kunst: weißer Hintergrund, Mikrofon, die Zunge klebt am Kehlkopf fest, 25 Takes. Letztendlich hatte es offenbar doch geklappt. Der Satz ging so: »Der Tag wird kommen, an dem ich alles sage, was ich darüber denke.« Der Sprecher sprach! Und er sagte diesen einen Satz eine Woche lang. Ich hatte ja keine Ahnung, dass um diese erste Werbeminute nach der Sendung ›Wremja‹ schon ein Kampf entbrannt war. Davon hat später irgendwann einmal German Sterligow erzählt, dem die Börse Alisa 83 gehörte. Ich weiß nicht, wie viel diese Minute kostete. Bezahlt hat das wahrscheinlich Metapress. Die Leute fingen an, darüber zu reden, die Zeitungen schrieben darüber. Ich bekam sogar Briefe!
Ihren Abschluss fand diese Geschichte erst nach dem Putsch, scheint mir. Das war die dritte Aufnahme. Ich glaube, direkt bei Metapress. Und wieder wurde gesprochen. Der Schlusssatz des Ganzen ging, wenn ich nicht irre, so: ›Der Tag ist gekommen, an dem ich Ihnen sagen kann: Gehen Sie alle zur Menatep!‹ Die Kassette wurde zum Sender nach Ostankino gebracht. Dieses Ding lief zwei Tage. Aber wie ich später erfuhr – das hat Pissarski neulich erzählt –, brachten sie die Kassette nach Ostankino und redeten dort mit dem Programmdirektor der Sendung ›Wremja‹. Danach sagte der Sprecher der Sendung, die gerade im Fernen Osten ausgestrahlt wurde: ›Bleiben Sie bitte dran. Es wird eine wichtige Mitteilung der Regierung ausgestrahlt.‹ Worauf das Publikum im Fernen Osten, das genau wusste, was üblicherweise auf derartige Ankündigungen folgt, in den Geschäften Salz, Streichhölzer und Wodka zusammenraffte – sie kauften, so viel sie konnten. Kurz, man kann sich vorstellen, was da losging. Gegen fünf Uhr ging in Ostankino ein Anruf vom Alten Platz ein. 84 ›Was treibt ihr da eigentlich?‹ Damit gab es keine Möglichkeit mehr, diesen spannenden Satz auch im europäischen Teil des Landes auszustrahlen. Im Ergebnis klappte das nicht so, wie gedacht, weil viele, die nicht durch diesen Satz angeheizt waren, die Nachrichten wie üblich einfach nicht bis zum Ende verfolgten. Und ich erschien mit meinem Satz und dem Namen ›Menatep‹ ja erst danach auf dem Bildschirm.
Menatep feierte damals gerade irgendeinen Jahrestag. Natürlich war das ein interessanter ›Move‹. Zudem kostete die Produktion so gut wie nichts. Aber die Zeit war noch nicht reif dafür. Die Leute hatten damals noch nicht richtig kapiert, was Werbung war, und auch nicht, was Privatbanken waren. Später hätte so eine Idee viel besser funktioniert, und auch jetzt noch würde sie funktionieren.«
Surkow ist heute Vizepremier der russischen Regierung, bis Dezember 2011 war er Erster stellvertretender Leiter der Administration des russischen Präsidenten, einer der einflussreichsten Politiker im heutigen Russland und Chefideologe des Putin-Medwedew-Regimes – der wichtigste »Polittechnologe« des Landes, wenn man so will. Außerdem schreibt er Gedichte und Prosa, ist mit Musikern befreundet. Irgendwie schafft er es, den Pragmatismus des Beamten mit der Extravaganz der Boheme zu verbinden. Interessant ist, dass er an verschiedenen Stellen immer wieder auftaucht: Er war zu unterschiedlichen Zeiten sowohl mit der Wirtschaft als auch den Medien (eine Zeit lang hat er beim Fernsehen gearbeitet, im Ersten Kanal) als auch mit der Staatsmacht verbandelt. Seit 1999 arbeitet er im Kreml. Der Absturz von Yukos begann und fand seine Fortsetzung, während er in Schlüsselpositionen in Putins und dann auch Medwedews Administration tätig war. Yukos und seine Gesellschafter sind für Surkow durchaus keine Unbekannten. Den Kontakt zu ihnen hielt er zumindest bis zu Chodorkowskis Verhaftung aufrecht.
Alles begann mit Metapress… Nein, alles begann noch früher. Wladislaw Surkow tauchte Ende der achtziger Jahre in Chodorkowskis Leben auf. Sie waren beide begeistere Sportler. Chodorkowski war mit dem berühmten Trainer Tadeusz Kassjanow 85 bekannt. Es war just die Phase des frühen Kapitalismus, in der private Unternehmer auf einmal
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