Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
genutzt«
Die erste öffentliche Platzierung von Aktien einer Bank in der jüngsten russischen Geschichte, und genau das war die Umwandlung von Menatep in eine Aktiengesellschaft, löste auch den ersten handfesten Skandal aus. Die Menatep hatte eigene Aktien emittiert. Und tatsächlich bildete sich auf der Dubininskaja-Straße, wo sich der erste Hauptsitz der Bank befand, eine beachtliche Schlange von Kaufinteressenten – über den Hof bis hinaus auf die Straße. Diese Leute, die angesichts der Ereignisse den Kopf verloren hatten und nicht mehr wussten, wem sie glauben sollten, die dem Rubel nicht mehr sonderlich vertrauten und auch nicht so genau wussten, wo sie ihr Geld anlegen sollten, kauften nun Aktien der Bankenvereinigung Menatep, wie sie damals hieß. Wessen Aktien erwarben sie da? Die Antwort auf diese Frage war nicht so eindeutig, wie es schien. Daran erinnerte sich vor nicht allzu langer Zeit auch der Leiter der Abteilung Wertpapiere bei der Staatsbank der UdSSR von 1990 bis 1996, Dmitri Tulin. 88 Tulin zufolge war »der rechtliche Status der Vereinigung ziemlich schwer zu definieren. Es war ein seltsamer Zusammenschluss mehrerer juristischer Personen. Just diese Vereinigung war es auch, die in den Medien eine Mitteilung über die Emission irgendwelcher Wertpapiere lanciert hatte, die als Aktien bezeichnet wurden. Die Werbung entsprach damit nicht den realen Verhältnissen. Hätten die Käufer versucht, hinter das Problem zu steigen, wären sie leicht darauf gekommen, dass sie hier Aktien konkreter juristischer Personen erwarben und nicht etwa ›Miteigentümer aller zur Menatep-Gruppe gehörenden Unternehmen‹ wurden, wie man es ihnen versprochen hatte! Im Ergebnis hätte jeder per Gericht die Emission der Aktien für ungültig erklären lassen können, und so war das Risiko der Käufer und der Verkäufer ausgesprochen hoch«.
Tulin behauptet nicht, dass die »hinter dieser Aktion stehenden Personen böse Absichten hatten, aber rechtliche ›Lücken‹ gab es in ihrem Handeln schon«. Seinen Standpunkt setzte er Chodorkowski, Brudno, Dubow und Lebedew auseinander: Man müsse die Verbreitung der Aktien einstellen und neue Bedingungen für ihre Emission ausarbeiten. Zwar hätten sie der finanziellen Zweckmäßigkeit größere Bedeutung beigemessen, erinnert sich Tulin, letztlich hätten sie ihm aber doch beipflichten müssen. Doch damit waren die Differenzen noch nicht zu Ende. Auf den Formularen der Bank, auf Tabellen mit ihrem Logo prangte direkt darüber der Schriftzug: »Staatsbank der UdSSR « – und, damit es auch richtig überzeugend wirkte, das Landeswappen. Das psychologische Kalkül ist nachvollziehbar: Den Menschen war das vertrauter, es klang solide. Tulin erinnert sich, die Menatep-Leute hätten ihm auf die Bitte, nicht zu verwenden, was ihnen nicht gehört, erwidert: »Sie können uns nicht zwingen, darauf zu verzichten, und von selbst werden wir das auch nicht tun. Wir sind nicht verpflichtet, ehrlich zu sein.« Er zitiert auch Chodorkowskis Argumentation: »Die privaten Anleger vertrauen uns noch nicht und bringen uns ihr Geld nicht von sich aus, deshalb sind wir gezwungen, uns als Vertreter des Staates auszugeben.« Formal gesehen, verstieß Menatep bei alldem tatsächlich gegen keine Vorschrift, da es zu diesem Zeitpunkt schlichtweg noch keine Gesetze über die Verwendung der staatlichen Symbole gab.
Chodorkowski verheimlicht nicht, dass er sämtliche Gesetzeslücken, von denen es ja eine Unmenge gab, höchst effektiv für sein Geschäft genutzt hat. In seiner Korrespondenz mit der Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja berichtet er, wie er mit Gaidar über die Grundsätze der wirtschaftlichen Umgestaltung gestritten habe. Dass er gewarnt habe, er würde alle Fehler, die die Regierung macht, auszunutzen wissen. »Dafür habe ich mir später – und hier können wir von den Grenzen des Erlaubten reden – jede Gesetzeslücke zunutze gemacht und den Mitgliedern der Regierung auch immer persönlich dargelegt, welche Lücke in ihren Gesetzen ich wie nutzen werde oder bereits nutze. […] Sie verhielten sich anständig: Sie prozessierten, schlossen die Lücken mit neuen Gesetzen und Verordnungen, ärgerten sich, warfen mir aber nie unfaires Spiel vor.« 89
Bis zu einem bestimmten Punkt kümmerte Chodorkowski sich mit Leidenschaft um jedes seiner Projekte. Seine Kollegen sagen: »Jedes Spielzeug verlor seinen Reiz für ihn, sobald ein neues auftauchte.« Als sich dann die Privatisierung
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