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Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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Richter Wiktor Danilkin ab.
    Der Zeitplan, nach dem die Strafsachen gegen Chodorkowski und Lebedew auftauchen, richtet sich nicht nach neuen, gerade erst bekannt gewordenen Umständen oder irgendeiner Logik der Ermittlungen. Täuschen wir uns nicht: Selbst wenn ein Wunder geschehen und die Geschichte mit den angeblich gestohlenen 350 Millionen Tonnen Öl in sich zusammengebrochen wäre, könnte es jederzeit eine neue, genauso exotische Geschichte und einen weiteren Prozess geben. Das Schicksal der beiden Geschäftsleute hängt im Wesentlichen von einer einfachen Frage ab: Ob Putin glaubt, dass sie, wenn sie wieder in Freiheit wären, keine Gefahr für diejenigen darstellen würden, die sie hinter Gitter gebracht haben, und auch nicht für diejenigen, die sich das Yukos-Vermögen angeeignet haben – wobei Erstere und Letztere identisch sind. Der Einsatz ist wirklich hoch: Das staatliche Unternehmen Rosneft, das heute die besten Yukos-Assets besitzt, ist über Nacht von einem ziemlich durchschnittlichen Unternehmen zum Marktführer aufgestiegen. Zum Vergleich: Von 1998 bis 2003 stiegen die Kennziffern des Unternehmens in puncto Ölförderung von 12,5 auf 19,6 Millionen Tonnen pro Jahr. Aber schon 2005 konnte die Firma ein Ergebnis von 74,6 Millionen Tonnen jährlich vorweisen. Was war 2004 geschehen? Richtig, Rosneft hatte Yuganskneftegaz erhalten. In einem Interview mit der Sunday Times vom Mai 2008 sprach Chodorkowski denn auch Klartext und benannte Igor Setschin, den Vorsitzenden des Direktoriums von Rosneft, als Organisator des »Angriffs« auf Yukos und seine Inhaber: »Das erste Verfahren gegen mich hat er aus Gier angezettelt, das zweite aus Feigheit.«
    Ende 2011 legte der beim Präsidenten Russlands angesiedelte Rat für Menschenrechte ein unabhängiges Gutachten zum zweiten Strafverfahren gegen Chodorkowski und Lebedew vor. Die Experten empfahlen Präsident Medwedew eine Revision des Verfahrens. Sie begründeten dies damit, dass Beweise für eine Schuld der Unternehmer fehlten, gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung verstoßen worden sei und das Gericht einfach die Positionen der Anklage übernommen habe.
    Die Verfolgung Chodorkowskis fällt auf eigentümliche Weise mit den politischen Zyklen in Russland zusammen. Seine Verhaftung 2003, im Jahr vor den Wahlen, bescherte Putin politischen Erfolg bei einem Volk, das Reiche nicht mag. Außerdem hatte diese Gewaltmaßnahme noch eine Reihe weiterer Vorzüge, darunter die Loyalität der aufgeschreckten Unternehmer und die Ausschaltung der demokratischen Opposition, von der sich nach der Geschichte mit Chodorkowski alle Sponsoren erschreckt abwandten und die sie auch heute noch fürchten wie die Pest.
    Zur nächsten Wahl im Jahr 2008 gab es – abermals pünktlich im Vor-Wahljahr – neue Vorwürfe gegen Chodorkowski und Lebedew. Der Prozess selbst begann erst nach der Wahl, im Jahr 2009. Die Haftzeit nach dem ersten Verfahren wäre für beide Inhaftierten 2011 zu Ende gewesen, also wiederum ein Jahr vor einer Wahl, der Präsidentenwahl von 2012, die, nach dem neuen Modell, eine Verlängerung der präsidialen Amtszeit auf sechs Jahre vorsieht. Es ist offensichtlich, dass Chodorkowski, der für Putin nicht zuletzt ein politischer Gegner ist, nicht vor der Wahl aus dem Gefängnis entlassen werden durfte – eben deshalb gab es ein zweites Verfahren. Die Absurdität der Anschuldigungen war dabei nebensächlich angesichts des Ziels, das es zu erreichen galt: Chodorkowski durfte nicht freikommen. Niemals? Womöglich. Aus meiner Sicht zumindest bis zur Verkündung der Wahlergebnisse im Jahre 2012. Um ihn aber über das formale Ende der Haftzeit nach dem ersten Verfahren hinaus isoliert halten zu können, brauchte man ein neues Urteil. Und somit einen neuen Prozess. The show must go on .
    Die absurde Anklage zog ein absurdes Verfahren und ein oft unangemessenes Auftreten der Staatsanwälte nach sich. Deren größtes Problem war gar nicht einmal nur ihre mangelnde Kenntnis der von ihnen selbst vorgelegten Strafakte, sondern vielmehr, dass sie sich nur unzureichend darüber im Klaren waren, was sie den »Ölbaronen« eigentlich zur Last legten. Und während die Angeklagten sich nach Jahren in Haft in juristischen Fragen bestens auskannten, verstanden die Ankläger bis zum Schluss nicht, worin sich Bohrlochflüssigkeit von Erdöl unterscheidet, wem das Öl gehört, wenn es in die staatliche Pipeline von Transneft eintritt, wie der Preis für Öl auf dem Inlands- und auf

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