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Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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hier nicht gern gemacht. Wenn jemand ›bedrängt‹ werden muss, wird er rausgebracht. Beispiele gibt es. Zurück kommt man erst, wenn keine blauen Flecken mehr da sind.
    Nachts brennt Licht.
    Der Gefängnisfraß ist Mist. Ich habe natürlich keine Zweifel, dass da genug Fette und Kohlenhydrate drin sind, aber wie die hier kochen … Deshalb nehmen wir nur selten davon, obwohl das auch vorkommt. Aber das sind Kleinigkeiten. Im Lager habe ich von der sprichwörtlichen Wassersuppe gelebt und alles war bestens. Allerdings bei frischer Luft. Wassersuppe und Zelle – ich denke, das wäre schwierig.«
    Der zweite Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew begann am 3. März 2009. Dieses Mal versuchte man ihnen vor Publikum, in einem öffentlichen Verfahren, einzureden, sie hätten sich selbst im Zeitraum von 1998 bis 2003 »als organisierte kriminelle Gruppe« 350 Millionen Tonnen Öl gestohlen. Und sie versuchten ihrerseits, nach dem Studium von 188 Bänden der Strafakte, bei Gericht in Erfahrung zu bringen, was denn die Anklage genau damit meint und wie sie sich das vorstellt.
    Es fällt schwer, die Anschuldigungen ernst zu nehmen. Zum Vergleich: Im Jahr 2001 wurden in Russland 341 Millionen Tonnen gefördert. Yukos und seine drei Tochterunternehmen hatten nach offiziellen Angaben im Zeitraum von 1998 bis 2003 345,44 Millionen Tonnen gefördert. Das heißt, dass diese Herren, so die Version der Anklage, alles »gemopst« haben sollen, was sie gefördert hatten und noch ein kleines bisschen mehr. Darüber hinaus hatten sie angeblich irgendwie – wie genau, ist wohl ihrem Umfeld und selbst der Regierung entgangen – knapp ein Fünftel des im selben Zeitraum in Russland insgesamt geförderten Öls (2014 Millionen Tonnen) gestohlen. Und zwar sich selbst. Entweder sitzen in der Regierung Idioten – oder sie sitzen bei der Staatsanwaltschaft. 350 Millionen Tonnen Öl zu stehlen und dabei das Unternehmen weiter Profite erwirtschaften und Dividende auszahlen zu lassen ist, beim besten Willen physisch unmöglich. Erst recht unter den wachsamen Augen der Wirtschafts- und Steuerprüfer.
    Zugleich hätten die neuen Anschuldigungen, wofern man sie für nachvollziehbar und begründet hielte, automatisch das Urteil wegen Steuerhinterziehung aufgehoben, nachdem die Angeklagten schon fast ihr ganzes Strafmaß abgesessen hatten. Denn wenn sie sich selbst alles so virtuos gestohlen hatten – worauf waren dann nach der ersten Anklage all die Milliarden Steuern angerechnet worden, wie konnten sie all diese Steuern hinterziehen, und wofür sitzen sie dann überhaupt ein? Die Anklage im zweiten Verfahren widersprach nicht nur einem Teil der Anklage im ersten Verfahren, sondern auch der offiziellen Position der Russischen Föderation in Straßburg (Yukos gegen die Russische Föderation). »Die Grundkonstruktion ist hier die: Auch wenn das erste Verfahren, wegen Steuerhinterziehung, eine ziemlich harte Strafe nach sich zog, so war doch die unternehmerische Tätigkeit, auf die die Steuern nicht gezahlt wurden, zweifelsfrei legal und kann nicht als Unterschlagung, Diebstahl und so weiter angesehen werden«, bemerkte dazu ganz folgerichtig Alexander Schochin, der Vorsitzende des russischen Verbandes der Industriellen und Unternehmer.
    Michail Kassjanow, der zum Zeitpunkt der Verhaftung Chodorkowskis Premierminister gewesen war und im Sommer 2010 als Zeuge Chodorkowskis und Lebedews aussagte, erklärte beim Verlassen des Gerichtssaals, ein Diebstahl von 350 Millionen Tonnen Erdöl sei eine absurde Vorstellung: »Es ist der reinste Hohn, diese Frage ernsthaft diskutieren zu müssen«. Wiktor Gerastschenko, der zweimal Vorsitzender der Zentralbank Russlands und daneben im Jahr 2004 auch Vorsitzender des Direktoriums von Yukos war, wurde vor Gericht noch deutlicher, als er die neuerlichen Anschuldigungen gegen Chodorkowski und Lebedew als »Schwachsinn« bezeichnete. Weder der vormalige Minister für Wirtschaftsentwicklung und heutige Zentralbankchef German Gref noch der ehemalige Vizepremierminister und heutige Minister für Industrie und Handel, Wiktor Christenko, die auf Drängen der Verteidiger Chodorkowskis als Zeugen geladen wurden, hatten jemals etwas davon gehört, dass in Russland 350 Millionen Tonnen Öl verschwunden wären. Die Vorladung von Premierminister Putin, seinem Stellvertreter Igor Setschin und Finanzminister Kudrin – von Personen also, mit denen der heute inhaftierte Chodorkowski mehrfach geschäftlich zu tun hatte –, lehnte

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