Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
seine tendenziösen Beschlüsse bekannt ist, unter anderem im Fall Chodorkowski. (Anm. Natalija Geworkjan)
13 Auf eine Strafaussetzung auf Bewährung darf ein Häftling hoffen, wenn keine Disziplinarstrafen gegen ihn vorliegen. (Anm. Natalija Geworkjan)
14 Die Blatnye – in der Regel Berufsverbrecher – sind die höchste »Kaste« in der Hierarchie der Gefängnisse und Straflager. (Anm. Natalija Geworkjan)
15 Kwatschkow wird beschuldigt, einen Anschlag auf Anatoli Tschubais verübt zu haben. (Anm. Natalija Geworkjan)
NATALIJA GEWORKJAN
KAPITEL 2
Der Angriff
»Die Meister des Judo und Karate behaupten, ein Mensch sei imstande, zwanzig zu besiegen. Nehmen wir an, zwanzig Menschen hätten angegriffen – einer gegen zwanzig, das heißt, es gibt einundzwanzig Säbel, die x verschiedene Positionen im Raum einnehmen können, sich dabei überschneiden und anderes mehr. Wenn wir uns nun die Schwünge der Säbel vorstellen und diese auf ein vorgegebenes Diagramm auftragen, ist es nur natürlich, dass es eine einzige Stellung gibt, in der die eine einzige Bewegung vollzogen werden kann, mit der sich die Schläge aller zwanzig Säbel parieren lassen. Als Meister darf mithin bezeichnet werden, wer, ohne lange nachzudenken, das Wirken aller spontan hereinbrechenden Faktoren aufgehalten und die einzig notwendige Kurve beschrieben hat. Das ist die sogenannte angemessene fehlerfreie Aktion.«
MERAB MAMARDASCHWILI
Michail Chodorkowski hatte die Chance, ins Ausland zu fliehen, sogar noch aus Nishni Nowgorod. Eine aus Moskau angereiste Yukos-Wachmannschaft habe die Information mitgebracht, dass Chodorkowskis Verhaftung bevorstehe, so die eine Version; der anderen Version zufolge hatte sie einfach eine Fotokopie des Haftbefehls dabei. Am Flughafen von Nishni gibt es ein internationales Terminal. Dort kommen zum Beispiel die Flüge der Lufthansa an. Chodorkowski reiste mit einem gecharterten Flugzeug durchs Land. Hätte er es gewollt, er hätte irgendwie versuchen können wegzufliegen …
Nishni Nowgorod war nur eine Station auf seiner Tour durch Russland, vor dem Abflug nach Irkutsk und weiter ins Gebiet der Ewenken. Offiziell wollte Chodorkowski in den russischen Regionen seine Strategie für die Geschäftsentwicklung und den Sinn der Fusion von Yukos und Sibneft erklären (die Schlussvereinbarung über die Gründung der Gesellschaft YukosSibneft war am 14. Mai 2003 unterzeichnet worden).
Ich bin sicher, dass er an jenem Abend des 24. Oktober 2003 in Nishni nicht an das Gespräch mit Putin vom 19. Februar desselben Jahres zurückdachte, bei dem Chodorkowski, wie es heißt, selbst das Urteil über sich gefällt hatte. Zum Zeitpunkt der Verhaftung hatte er bereits alles analysiert, ihm war klar, was vor sich ging und warum und was weiter passieren würde. Zumindest hatte er das Gefühl, als sei ihm alles klar.
Immer wieder kehre ich in Gedanken zu der Begegnung zurück, die erstmals deutlich die Spannung zwischen den beiden Führungsfiguren aus Politik und Wirtschaft offenbarte. An jenem Tag hatte Putin, in Fortsetzung einer jelzinschen Tradition, die Giganten der russischen Geschäftswelt zu sich in den Kreml geladen. Zum Gespräch.
Chodorkowski sprach davon, dass Angaben russischer Unternehmer zufolge im Jahr 2002 ganze 30 Milliarden Dollar für die Korruption ausgegeben worden seien, was rund zehn bis zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspreche. Er kritisierte die ungleichen Spielregeln für staatliche und private Unternehmen und deutete an, es hätte beim Deal zum Kauf des Unternehmens Severnaya Neft durch die staatliche Rosneft, bei dem sagenhafte 600 Millionen Dollar gezahlt worden waren, Korruption gegeben. Putin parierte hart, einige Unternehmen hätten »überschüssige Reserven« und es sei noch die Frage, wie sie dazu gekommen seien – offenbar eine Anspielung auf die fragwürdigen Privatisierungen der neunziger Jahre. Er erinnerte auch daran, dass Yukos Probleme mit den Steuern gehabt hätte, und »ja, die lösen Sie jetzt, aber aus irgendeinem Grund sind sie schließlich mal entstanden …« 16 Außerdem sagten dem Präsidenten die Pläne von Yukos nicht zu, eine Ölpipeline nach China zu bauen (nach vorläufigen Schätzungen zu einem Preis von rund drei Milliarden Dollar privater Investitionen). Ohne Zustimmung des Kreml werden solche Pläne in Russland nicht umgesetzt. Der Kreml hatte schließlich seine eigenen Rohrleitungen und seine eigenen Prioritäten, in diesem Fall eine Pipeline in Richtung
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