Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
Jungs, wie gern würde ich woanders mit euch reden …«
Es gibt eine eiserne Regel, die man in Russland von Kindesbeinen an lernt: Wenn dich mehrere Personen angreifen und eine Schlägerei unausweichlich ist, geh dem Stärksten an die Gurgel. Gelingt es, den Anführer aus dem Spiel zu bringen, sind die Chancen, heil aus der Sache herauszukommen und sich zur Wehr zu setzen, größer. Weder Putin noch Chodorkowski wuchsen in Watte gepackt auf. Ich denke, beide kannten diese Regel nur zu gut. Putin fühlte sich mit den Oligarchen aus dem Jelzin-Stall auch nach zwei Jahren an der Macht noch wie ein schwacher Petersburger Junge vor einer starken Moskauer Gang. Doch der Petersburger Junge hatte dieses Mal die gesamte Staatsmaschinerie hinter sich. Die Oligarchen dagegen hatten ihr Kapital und ihre Unternehmen, die die meisten der Anwesenden nicht aufs Spiel setzen wollten. Ihre Stärke war gleichzeitig ihre Schwäche. Putin hatte abgewogen: Die Situation versprach einen sicheren Sieg. Außer Gefecht setzen muss man diesen Typen mit der Brille, mit dem besten Unternehmen im Land, der hier, anders als alle anderen, einfach nur mit dem Vornamen vorgestellt wurde, wie ein Star, dem die »Gang« das Reden überlassen hat. Die anderen werden sich von alleine einreihen. Kombinierte Putin seine Erfahrungen aus der Kindheit auf den Hinterhöfen, der KGB -Schule und der Judoschule miteinander, sah er: Es war an der Zeit zuzuschlagen.
Verhaftet wurde Chodorkowski am frühen Morgen des 25. Oktober, während das gecharterte Flugzeug in Nowosibirsk aufgetankt wurde.
Zu diesem Zeitpunkt saßen bereits Yukos-Geiseln in Haft. Am 19. Juni war der Leiter der Abteilung für interne Wirtschaftssicherheit 18 von Yukos, Alexej Pitschugin, verhaftet worden. Am 2. Juli wurde der Mitinhaber der Firma, Platon Lebedew, inhaftiert. Ein weiterer Gesellschafter des Unternehmens, Wassili Schachnowski, hatte sich Anfang Oktober schriftlich verpflichten müssen, seinen Aufenthaltsort nicht ohne behördliche Genehmigung zu verlassen. Am 4. Juli waren die zwei wichtigsten Gesellschafter von Yukos, Michail Chodorkowski und Leonid Newslin, von der Staatsanwaltschaft vernommen worden. Jede Woche fanden auf Anweisung der Generalstaatsanwaltschaft Durchsuchungen und Beschlagnahmen statt, die offenkundig der Einschüchterung dienen sollten. »Was machen die da?«, fragte ich einen meiner Kollegen, der Informanden bei den Strafverfolgungsbehörden hatte. »Das gleiche wie in Tschetschenien«, antwortete er. »Sie landen Präzisionsschläge und neutralisieren die Führungspersönlichkeiten.«
Auch die Art und Weise, wie Chodorkowski verhaftet wurde, erinnerte letztlich an die Ergreifung eines Terroristen. Das Flugzeug wurde auf eine Reserveparkposition gedrängt, dann fuhren zwei Busse heran, und speziell geschulte Leute vom FSB sprangen heraus.
Michail Chodorkowski: »Niemand hatte mir irgendwelche Informationen zu meiner Verhaftung zukommen lassen, die man als ›konkret‹ hätte bezeichnen können. Ich fragte aber auch nicht nach solchen Informationen. Die Situation war klar: Alles stand auf der Kippe. Diejenigen, die mir helfen wollten, taten, was sie konnten. Meine Widersacher ebenfalls. Wer eine Vorstellung von der Entscheidungsfindung im Kreml hat, weiß, dass es in diesem Verfahren jederzeit Kehrtwenden geben kann.
In dieser Situation war die Vorladung zur Vernehmung in die Generalstaatsanwaltschaft unmissverständlich der ›letzte Gong‹. Obwohl ich das Risiko schon während meiner letzten Auslandsreise richtig eingeschätzt hatte: Damals hatte ich mich von meinen Freunden verabschiedet.«
Es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, wozu man das Einsatzkommando in der Nacht von Moskau bis nach Nowosibirsk hetzen musste, mit fast vier Stunden Flugzeit. Wenn die Entscheidung schon getroffen war, warum wurde Chodorkowski dann nicht direkt in Nishni Nowgorod verhaftet, das nur eine Stunde Flugzeit von Moskau entfernt ist?
Michail Chodorkowski: »Aus demselben Grund wie auch alles andere: Paranoia. In Nishni fand ein Treffen von Bürgerrechtlern statt. Was, wenn plötzlich …
Ich hatte Schachzüge mit weniger ›Effekten‹ erwartet: eine gewöhnliche Verhaftung während einer Vernehmung bei der Generalstaatsanwaltschaft.
Wenn Sie 2007 in Tschita die Scharfschützen auf dem Dach des Gerichtsgebäudes gesehen hätten, wäre Ihnen vieles sofort klar geworden.
Später habe ich gehört, es habe das Gerücht gegeben, dass ich in die Ewenken-Region
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