Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
Wie jedem fällt es mir schwer, im Gefängnis zu leben, und ich will nicht darin sterben. Aber wenn es sein muss, werde ich nicht schwanken. Meine Überzeugung ist mir mein Leben wert. Ich glaube, das bewiesen zu haben.
Und die Ihre, meine Herren Opponenten? An was glauben Sie? An das Recht der Obrigkeit? An das Geld? Daran, dass das »System« straflos ausgeht? Ich weiß es nicht, das müssen Sie entscheiden.
Euer Ehren!
In Ihren Händen liegt sehr viel mehr als nur zwei Schicksale. Hier und jetzt wird über das Schicksal eines jeden Bürgers unseres Landes entschieden. Über das Schicksal derjenigen in Moskau und Tschita, Petersburg und Tomsk und in anderen Städten und Dörfern, die darauf zählen, nicht ein Opfer der Gesetzlosigkeit der Miliz zu werden, derjenigen, die ein eigenes Geschäft gegründet, ein Haus gebaut, Erfolg gehabt haben und möchten, dass dies ihren Kindern und nicht Plünderern in Uniform zugutekommt, und schließlich derjenigen, die ehrlich für ein gerechtes Gehalt ihre Pflicht tun wollen, ohne jede Minute befürchten zu müssen, unter einem beliebigen Vorwand von einer korrumpierten Obrigkeit entlassen zu werden.
Es geht nicht um Lebedew und mich, jedenfalls nicht nur. Es geht um die Hoffnung vieler unserer Mitbürger. Um die Hoffnung, dass das Gericht morgen ihre Rechte wird verteidigen können, sollte es irgendwelchen Bürokraten wieder in den Sinn kommen, diese Rechte dreist und demonstrativ zu verletzen.
Ich weiß, dass es Menschen gibt – ich habe ihre Namen während des Prozesses genannt –, die uns weiter im Gefängnis sehen wollen. Für immer! Und daraus machen sie auch keinen Hehl, nein, sie betonen sogar öffentlich, der Fall Yukos sei längst nicht abgeschlossen.
Warum sie das tun? Weil sie demonstrieren wollen: Sie stehen über dem Gesetz, sie erreichen immer das, was sie vorhaben. Bisher haben sie allerdings das Gegenteil erreicht: Sie haben aus gewöhnlichen Menschen ein Symbol des Widerstands gegen die Willkür gemacht. Das ist ihnen gelungen. Das ist nicht unser Verdienst, sondern ihres. Jetzt brauchen sie einen Schuldspruch, um nicht selbst zu ›Sündenböcken‹ zu werden.« 2
Und dann kam das Schlusswort von Michails Mutter Marina Chodorkowskaja. Knapp und schonungslos, dem Richter ins Gesicht: »Seien Sie verflucht! Und Ihre Nachkommen auch!«
Die Arbeit an diesem Buch begann, als der zweite Prozess in Moskau noch lief. In seiner Absurdität schien er der Fantasie eines Kafka entsprungen.
Wenn Sie auf dem Smolenskaja-Platz in Moskau stehen, dem russischen Außenministerium dort den Rücken zukehren, ein Stückchen bergab Richtung Moskwa-Ufer gehen und dann nach links abbiegen, landen Sie auf der Rostowski-Gasse. Dieser Gasse folgen Sie bis zu dem unscheinbaren Haus mit der Nr. 21. Und wenn Sie nun noch einen Pass dabei haben (egal welchen Landes), gehen Sie einfach durch die Eingangstür dieses Hauses, bringen die diskrete Prozedur der Durchsuchung und Anmeldung am Eingang hinter sich, versichern, dass Sie keine Foto- oder Videotechnik bei sich haben und begeben sich in die zweite Etage. Sie sind nun im Gericht des Stadtteils Chamowniki. Gerichtssaal Nr. 7 – dort müssen Sie hin. Genau hier standen Michail Chodorkowski und sein Freund und Partner Platon Lebedew von März 2009 bis Dezember 2010 vor Gericht.
Gegen 10 Uhr früh oder etwa 14 Uhr konnte man beobachten, wie im Treppenhaus zwei Männer, die mit Handschellen an zwei weitere Männer in Uniform gekettet waren, mit leichtem, munterem Schritt den Weg von der dritten in die zweite Etage zurücklegten. Manchmal wurden die beiden Männer zur Abwechslung auch aneinandergekettet, dann gingen die Uniformierten vorneweg und hinterher. Die Männer in Uniform wechselten. Die Männer in Handschellen waren stets dieselben.
Der größere und ältere von beiden, der völlig ergraut war und gewöhnlich eine Sportjacke trug, war Platon Lebedew. Er war 54 Jahre alt. Der jüngere, mit Brille und sehr kurz geschnittenem Haar, der normalerweise Jeans, ein T-Shirt, eine Jacke oder einen Pullover trug, war Michail Chodorkowski. Er war 47 Jahre alt.
Das war auch der einzige Augenblick, in dem man die beiden bekanntesten Häftlinge Russlands nicht hinter Gittern, nicht hinter kugelsicherem Glas, sondern sozusagen »real« zu sehen bekam – in den kurzen Minuten, in denen sie unter Bewachung in den Gerichtssaal und wieder hinausgebracht wurden. Diese beiden Inhaftierten waren ehemalige Teilhaber der ehemaligen
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