Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
mir gegenüber nie auch nur ein Wort darüber. Ein echter Mensch, mit einer russischen Seele.«
Newslin zufolge war im Team der beiden immer Michail der Spezialist für Lösungen und er selbst der Spezialist für Bedenken. Auch an jenem Tag im August war es Chodorkowski, der die Entscheidung traf. Er entschied: Wir fahren zum Weißen Haus und schauen uns an, was da vor sich geht.
Leonid Newslin: »Und als wir sahen, dass Jelzins Mannschaft sich zum Kampf rüstete, entschieden wir uns für diese Mannschaft. Weil die andere Mannschaft, das Staatliche Notstandskomitee, natürlich trotz allem erbärmlich wirkte und im Gegensatz zu Jelzin nicht das Gefühl von Verlässlichkeit und Stärke vermittelte. Jelzin konnte das Land erhalten. Natürlich habe ich die Ereignisse in Beloweshskaja pustscha 59 damals nicht vorausgeahnt, aber ich denke, selbst wenn – wir wären sowieso bei dieser Mannschaft geblieben. Auch moralisch sah es so aus, als könnten wir an ihrer Seite sowohl für unser Land als auch für uns selbst eintreten. Das waren wichtige Tage, solche Geschichten bringen Menschen zusammen.
Wir waren im Weißen Haus, als der Sturm erwartet wurde. Für den Fall, dass es nötig wäre, Jelzin zu verteidigen. Wir waren bereit, zu den Waffen zu greifen und diese Regierung zu verteidigen. Daher auch die guten Beziehungen zu Wiktor Iwanenko, dem Chef des KGB der RSFSR , der damals schon AFB hieß. Das alles sollte später eine Rolle spielen – sowohl die Arbeit mit Silajew als auch der August 91 – und uns zusätzliches Vertrauen verschaffen, als wir Jahre später zu Yukos kamen, um mit Murawlenko zu verhandeln. Übrigens wurde Iwanenko nach seinem Weggang vom AFB Murawlenkos Stellvertreter. Wer Chodorkowski kennt, weiß, wovon ich rede: Im Unterschied zu vielen anderen Menschen, mich eingeschlossen, die, wenn sie eine Entscheidung treffen, zwei bis drei Folgeschritte sehen, hat Chodorkowski die gesamte strategische Perspektive im Blick und versteht im Voraus, welche Folgen eine bestimmte Entscheidung haben kann. Und er hat sich nicht verändert. Er kalkuliert absolut kaltblütig alles durch.
46 An der etwas außerhalb Moskaus gelegenen Rubljowo-Uspenskoje-Chaussee befinden sich die Residenzen des Präsidenten, des Premierministers sowie vieler hochrangiger Beamter und Unternehmer. (Anm. Natalija Geworkjan)
47 Bezeichnet sowjetische Juden, denen die Möglichkeit der Ausreise verweigert wurde. (Anm. d. Ü.)
48 Aus einem Briefwechsel mit der Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja, Zeitschrift Snamja Nr. 10, 2009, zitiert nach: Briefe aus dem Gefängnis, München 2011, S. 85.
49 Umgangssprachlicher Begriff für geheime Forschungseinrichtungen, in denen inhaftierte Wissenschaftler und Ingenieure arbeiten mussten. (Anm. d. Ü.)
50 Brigadeverträge (brigadnye podrjady) waren in der Sowjetunion ein System der Leistungserbringung, bei dem ein Team (brigada) einen bestimmten Arbeitsauftrag übernahm und das verdiente Geld nach einem vorher festgelegten Schlüssel direkt unter den Mitarbeitern aufgeteilt wurde. Dadurch bestand für die Brigade ein konkreter materieller Anreiz, Äufträge zügig und zur Zufriedenheit der Auftraggeber zu erfüllen. (Anm. d. Ü.)
51 In der Phase der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) 1921–1929 ließ der Staat privates Unternehmertum zu. (Anm. Natalija Geworkjan)
52 Die 1959 ins Leben gerufene »Ausstellung der volkswirtschaftlichen Errungenschaften der UdSSR« in Moskau. Das Gelände wird heute vor allem für Messen genutzt. (Anm. Natalija Geworkjan)
53 Geschlossene Unternehmen waren Betriebe, für die zumeist strenge Geheimhaltungsvorschriften galten, weil sie in strategisch wichtigen Bereichen tätig waren, zum Beispiel in der Rüstungsindustrie oder im Rohstoffsektor. Die Mitarbeiter solcher Unternehmen wurden deshalb sehr sorgfältig ausgewählt. (Anm. d. Ü.)
54 Gleichmacherei, urawnilowka, auch »Gleichbezahlung«, bezeichnet die angeblich mehr oder weniger gleiche Bezahlung für die meisten Berufsgruppen in der Sowjetunion, wodurch verhindert werden sollte, dass sich eine neue Schicht von Reichen herausbildet. (Anm. d. Ü.)
55 Der Komsomolauftrag, komsomolskaja putjowka, war ein Dokument, mit dem ein Mitglied des Komsomol von dem für ihn zuständigen Kreis- oder Stadtbezirksausschuss eine vorübergehende oder feste Arbeit zugewiesen bekam. Damit verbunden war oft auch die Entsendung in entlegene, wenig besiedelte Gegenden des Landes, zum Beispiel im Norden, die landwirtschaftlich
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