Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
Wäre ich allerdings im Gefängnis gelandet, dann wäre mir das nicht unbegründet vorgekommen.
Ich glaubte überhaupt nicht an den Sieg. Aber meine Ehre war mir wichtiger. Am 21. August, als sich alles geklärt hatte, kehrte ich vom Weißen Haus nach Hause zurück, schrieb eine Erklärung an mein KPdSU -Komitee des Stadtbezirks Swerdlowski und schickte ihnen mein Parteibuch. Ich schrieb ihnen, dass ich austrat, weil sie nicht einmal einen Umsturz zustande gebracht hätten.
Natürlich ist das verworren und widersprüchlich. Heute könnte ich das alles zweifellos genauer formulieren. Aber so sah es damals in meinem Kopf aus: 1991 war ich gekommen, um für meine Mannschaft einzustehen, obwohl ich keineswegs fand, dass sie im Recht war. Das ist leider die Wahrheit. Das Leben zieht manchmal seltsame Grimassen.
Wirklich Angst bekam ich etwas später, als die Unionsstrukturen allmählich die Macht an die russischen Behörden übergaben. Ich sah, dass die »Machtempfänger« ein viel niedrigeres professionelles Niveau hatten als diejenigen, die Macht abgaben. Für mich als technisch orientierten Menschen war das ein Albtraum. Und ein Albtraum wurde es dann ja auch für die Wirtschaft.
An die Bank, das NTTM -Zentrum dachte ich damals überhaupt nicht. Sie waren in meinen Augen ganz und gar belanglos geworden. Es ging um Leben und Tod, um den Erhalt oder Zerfall des Landes, um die Atomwaffen, die Lebensmittelversorgung, Brennstoff, Wärme – das waren die Probleme, die um mich herum und zu einem kleinen Anteil auch mit meinem Zutun gelöst wurden. Ich war 28 Jahre alt.
Damals war der Moment, in dem ich spürte, dass der Markt zwar ein guter Mechanismus ist, der aber in bestimmten Situationen Millionen Menschen das Leben und mein Land und meine Welt die Existenz kosten würde – und deshalb brauchte es den Staat. Aber einen professionellen Staat, und gute Verwaltungsprofis müssen außerhalb der Ideologie arbeiten, genauer gesagt: jenseits von ideologischen Fragen. Das heißt, sie müssen ihre Pflicht erfüllen, unabhängig davon, was sie über die Staatsmacht denken, und die Staatsmacht muss sie tolerieren – unabhängig von persönlichen Beziehungen. Alles andere kommt erst nach der Erfüllung der Pflichten. Eben deshalb ließ ich viele Jahre später, Ende 2003, Yukos auch nicht abschalten. 61
»Ein ideologischer Mensch«
Zunächst einmal sollten wir klären, was wir unter Politik verstehen. Ich habe das Gefühl, dass verschiedene Leute damit ganz verschiedene Dinge meinen: 1. Politik im Sinn von Ideologie. Also die Ausarbeitung und Verfolgung bestimmter Ziele und Grundsätze, die ein großer Personenkreis teilt. 2. Politik im Sinn von Intrigen. Also bestimmte Vorgehensweisen und Verfahren, mit denen sich gewisse nicht offen deklarierte und (ihrem wirklichen Wesen nach) längst nicht immer ideologisch geprägte Ziele erreichen lassen. (Wirtschaftliche Ziele eines nicht näher definierten Personenkreises sind dagegen nach meiner Lesart eine Ideologie.) 3. Politik im Sinn von Lobbyismus. Also bestimmte Vorgehensweisen, die darauf abzielen, konkrete, offen deklarierte und nachvollziehbare wirtschaftliche Ziele zu erreichen. 4. Politik im Sinn von staatlicher Verwaltung. Also die Ausübung bestimmter Funktionen durch den Staatsapparat, wodurch praktische (»kommunale«) Aufgaben gelöst werden.
Ich war immer ein sehr »ideologischer« Mensch. Meine inneren Einstellungen blieben nicht immer dieselben, aber ich habe immer das getan und verteidigt, woran ich glaubte. Ein tiefergehendes Interesse an theoretischen Fragen habe ich erst ab 2000 ungefähr entwickelt. Vielleicht auch noch später. Bis ich das Gefühl hatte, etwas verstanden zu haben, hat es dann noch etwa fünf Jahre gedauert. Heute bin ich in Ideologie ziemlich beschlagen (beschlagen genug, um Fragen und Konzepte, die mir vorgelegt werden, zu analysieren und anhand meiner »Ideale« eine qualitative Auslese zu treffen und Korrekturen vorzunehmen).
In Intrigen dagegen war ich niemals gut. »Mehrzüger« mit verborgenem Sinn bereiten mir Unbehagen. Derartige Raffinessen anderer Leute zu analysieren, fällt mir schwer.
Mit Lobbyarbeit musste ich mich von Amts wegen bisweilen befassen, obwohl mich diese Arbeit nie gereizt hat und ich sie, wann immer es ging, meinen Stellvertretern zugeschoben habe.
Und was die staatliche Verwaltung angeht – damit hatte ich mich in meinem Jurastudim beschäftigt. Im Prinzip fand ich das interessant, als Sonderfall eines
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