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Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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entsprach zu einem gewissen Grad seinen eigenen Sorgen hinsichtlich der Zukunft des Landes. Und zu alldem war nicht ganz klar, was das Notstandskomitee eigentlich wollte: Gorbatschow zwingen, einen härteren Vertrag abzuschließen, oder die Sache mit dem Vertrag ohne ihn über die Bühne zu bringen. Andererseits arbeiteten Chodorkowski und Newslin zur Zeit des Putsches schon als Berater in der Regierung Silajews, also in Jelzins Team. Chodorkowski kannte Jelzin bereits persönlich. Damit waren ihm die Leute, die im Weißen Haus die Verteidigung übernahmen, ebenfalls nicht fremd. So hatte er sowohl auf der einen als auch der anderen Seite wenn nicht Freunde, so doch zumindest gute Bekannte.
    Wie das ganze Land erfuhren auch Chodorkowski und Newslin aus dem Fernsehen vom Putsch. Sie hörten Schwanensee , setzten sich ins Auto und fuhren von der Datscha in die Stadt.
    Inna Chodorkowskaja: »Im August 1991 herrschte ganz normaler Sommer, aber irgendetwas lag in der Luft. Mein Mann kam immer müde und nervös nach Hause. Mit Fragen wollte ich ihn nicht behelligen, nicht nur, weil es mich nicht interessierte, sondern auch, weil ich mit dem Kind mehr als genug zu tun hatte. Abends war ich auch müde. Hin und wieder sagte er mir, es würde einen kleinen Krieg geben, und er nehme aktiv daran teil. Er ließ mir ein Gewehr da und versuchte mir klarzumachen, dass das kein Spaß sei und ich auf ihn hören solle. Als dann der Tag X da war, wurde mir ernsthaft bange. Im Fernsehen liefen auf allen Sendern klassisch-symphonische Melodien. Das verhieß nichts Gutes. Ich war von der Zivilisation abgeschnitten, vollkommen abgeschnitten (ich fuhr damals noch nicht selbst Auto), aus dem Nachbarhaus kam die Information, dass auf der Minsker Chaussee die Panzer rollten. Alles sah nach Krieg aus und es war wirklich kein Spaß, genau wie Mischa es angekündigt hatte. Damals gab es noch keine Mobiltelefone, ich wusste überhaupt nicht, was mit ihm war. Nur, dass er sich in den Samara seines Freundes gesetzt hatte und sie alle zum Weißen Haus gefahren waren. Es verging viel Zeit, und er ließ nichts von sich hören. Meine Welt veränderte sich zusehends. Alle meine Gedanken waren darauf fixiert, wie viel Wald uns umgab und wo er aufhörte. Außerdem dachte ich noch an die Brunnen (die es im Wald gab), wo ich mich mit Stassja hätte verstecken können. Meine Gedanken irrten auf der Suche nach einem vorübergehenden Unterschlupf umher. Mein Mann hatte mich mit meinen kindlichen Ängsten oder den Ängsten aus einem früheren Leben immer allein gelassen. Vielleicht fand er, dass er nicht mein Psychologe sein sollte, und andererseits erzählte ich ihm auch nicht sehr viel von meinen Gruselmärchen. Er war daran gewöhnt, seinen Tagesablauf selbst zu planen und ließ mich meine Angelegenheiten regeln. War er mir eine Hilfe? Ich kann sagen, dass er immer in der Nähe, immer greifbar war. Und jetzt war auch ohne Worte klar, dass ich mich ums Überleben kümmern musste. Wenn wirklich etwas passiert wäre, dann wäre mir die Waffe wohl als Allerletztes eingefallen. Als er zurückkam, waren unsere Adrenalinwerte diametral entgegengesetzt, aber bei beiden weit jenseits der Norm. Er war voller Emotion, er brannte, seine Augen strahlten. Ein Krieger, mit einem Wort. Ich dagegen wollte ihn streng bestrafen, wie ein Kind, das zu lange draußen war, das beim Spielen die Zeit vergessen und nicht Bescheid gesagt hat, dass es später nach Hause kommt. Er wusste nicht, was ich durchgemacht hatte, dass ich hundert Tode gestorben war und zweihundertmal im Labyrinth der imaginären Ereignisse mein Kind verloren hatte. Als Trophäe brachte er haufenweise Fotos mit, die er im Weißen Haus vom Fenster aus aufgenommen hatte. Was er erlebt hatte, blieb in seinen Augen lebendig. Ich konnte nur anhand der Bilder, auf denen die Ereignisse jener unruhigen Tage festgehalten waren, etwas von der Stimmung erfassen und mir ein wenig davon vorstellen.«
    Michail Chodorkowski: »Nach dem Sieg stellte ich einige der ›Ehemaligen‹ von der anderen Seite bei mir ein. Oleg Baklanow, Georgi Rasumowski und andere. 58 Ich hatte sie davor nicht gekannt und war ihnen nichts schuldig, eher im Gegenteil, aber das waren interessante Leute mit viel Erfahrung. Ich konnte auch nicht anders, als mit ihnen zu fühlen. Sie wollten ja auf ihre Weise Gutes für das Land. Es gab keinen Hass, nur Mitleid. Und Jelzin wusste Bescheid, er verzog das Gesicht, als man es ihm ›steckte‹, aber er verlor

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