Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
also enorm. Ich hatte Angst, etwas falsch zu machen, alles wurde nach Plan erledigt. Mischa kam und ging, wir sahen uns nur spät abends.«
Die zwei Familien wohnten im selben Haus: Chodorkowski und Inna im ersten Stock, die Newslins im Erdgeschoss. Es gab einen gemeinsamen Eingang. Dann mieteten sie im selben Ort eine Zeit lang ehemalige ZK -Datschen an, da wohnte jeder schon in seinem eigenen Haus. Wiederum einige Zeit später mieteten sie einen Teil des Campus der internationalen Universität in Skolkowo mit zweistöckigen Häusern an; hier lebten sie wieder unter einem Dach, nachdem sie eine Villa zum Zweifamilienhaus umgebaut hatten: Es gab einen gemeinsamen Eingang, eine Familie wohnte links, die andere rechts. Die Siedlung Jablonewy Sad in Shukowka entstand erst später, 1999, dort hatte jeder der Gesellschafter dann sein eigenes Haus.
Leonid Newslin: »Unser Verhältnis war unkompliziert und angenehm. Wir kamen uns nicht ins Gehege. Die Frauen auch nicht, scheint mir. Wir arbeiteten viel, Freizeit blieb nur wenig. Der Grundsatz war, den Sonntag für die Familie zu lassen, aber auch das klappte nicht immer. Mischa und ich, wir haben noch etwas gemeinsam: Wir sprechen nie über unsere Beziehungen zu unseren Frauen und Kindern. Nicht, dass das tabu wäre, aber es ist einfach nicht üblich. Weder er mag das noch ich. Wir konnten über alles Mögliche reden, fragen, um Rat bitten. Aber die Details unserer Beziehungen, ganz persönliche, emotionale Dinge haben wir nie diskutiert. Nicht, weil es nicht gegangen wäre – ich hatte absolutes Vertrauen zu ihm, und ich denke, er auch zu mir, aber dieses Thema kam einfach nicht vor.«
Inna Chodorkowskaja: »Für Michail ist das Umfeld sehr wichtig. Ich glaube, er ist schon so auf die Welt gekommen. Er existiert in einem Sozium, in dem er die Führungsfigur ist. Seine Eltern sind wunderbare, noble Menschen mit eigenen Prinzipien und Vorstellungen. Aber er steht irgendwie abseits, noch unter Leuten, die selbst abseits stehen … Ich habe viel Glück gehabt im Leben. Ich mag intellektuelle Leute, ich verfolge gern ihre Gespräche. Newslins Gesellschaft habe ich damals sehr genossen. Wenn er zu uns kam, setzte ich mich hin und hörte nur noch zu. Er denkt ständig über alles nach, und Mischa genauso. Dann kam Platon dazu, der überhaupt schwer zu verstehen ist, aber man spürt dieses riesige Wissen bei ihm. Sie hatten die gleiche Denkgeschwindigkeit und das gleiche Gedächtnis. Jeder von ihnen ist phänomenal. Und sie ergänzen sich. Ich denke, es ist kein Zufall, dass sie alle zusammengekommen sind.«
Inna hat das Mendelejew-Institut nie abgeschlossen. Sie lacht und sagt, ihr Mann hätte sie da »weggeschleppt«, hätte ihr Angst gemacht, Chemie könne Haarausfall verursachen. »Er wollte nicht, dass ich mich allzu selbstständig bewege. Eifersüchtig war er, natürlich! Ein normales männliches Gefühl. Am Institut hatte ich mit dem Rauchen angefangen. Er hat getobt, er wollte mich nicht zum Mittagessen lassen. Stell dir vor, ich war kaum meiner Mama entwischt, und da kam schon die nächste ›Nervensäge‹. Er riss mir die Zigaretten aus dem Mund, klaute mir die Packungen und führte sich überhaupt unmöglich auf. Ich würde nicht sagen, dass er sich in der Beziehung sehr verändert hat. Er mag es nicht, wenn ich mich kaputtmache. Ich habe 20 Jahre lang geraucht und dann aufgehört. Aus eigenem Entschluss. Anders wäre das auch nicht gegangen. Wenn eine fremde Energie in meinen Raum eindringt, fange ich an, Widerstand zu leisten. Das hat er nicht verstanden, im Grunde bis zu seiner Verhaftung. Mir ist ja selbst erst später klar geworden, dass man mich nur hätte in Ruhe lassen müssen, dann hätte ich mich allein orientiert. Ich bin überhaupt ein Mensch, der sich selbst reguliert – ich brauche mein Vakuum, meinen Raum für mich, dann habe ich alles im Griff. Und so war es dann ja auch, als ich ohne ihn zurückblieb. Aber bis dahin war es ein einziger Dauerlauf, wir rasten nur so dahin …«
Anastassija Chodorkowskaja kam am 26. April 1991 zur Welt. Michail war zu dieser Zeit auf Dienstreise in Taiwan. Als ihre Tochter geboren wurde, waren Michail und Inna nicht verheiratet.
Wladimir Dubow: »Ich hatte irgendwann mal gesagt, dass ich erst in Urlaub fahre, wenn ich die beiden verheiratet habe. Eines Tages, mein Urlaub stand vor der Tür, sagt Chodorkowski zu mir: ›Du fährst also, alles klar. Inna ist traurig, seit sie weiß, dass du in Urlaub fährst.‹ Ich
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