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Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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sage: ›Warum?‹ ›Sie hat gedacht, du wärst ein verlässlicher Mensch – du hast schließlich versprochen, sie unter die Haube zu bringen.‹ Und ich hatte meine Tickets schon, eine Woche später wollte ich fahren. Ich sage: ›Dann nichts wie her mit den Papieren.‹ Ich habe schnell einen Haustermin mit dem Standesamt vereinbart, also dass jemand zu ihnen auf die Datscha kam. Auf einen normalen Termin konnten wir schließlich nicht warten. Dann fuhr ich mit ihm nach Peredelkino, um meine Frau Olga abzuholen. Und von da aus weiter zu seiner Hochzeit. An den Weg erinnert Olga sich bis heute. Mischa fuhr damals nicht besonders gut, aber sehr rasant, und wir hatten ein bisschen Angst. Wir waren so in Eile, dass wir einen Bahnübergang direkt vor einem Zug überquerten. Kurz, ein Auswärtstermin zwecks häuslicher Eheschließung. Irgendwo zwischen Küche und Esszimmer, im Flur, wurden sie schließlich getraut. Und das Kind, das schon drei Monate alt war, wurde auch gleich eingetragen. Das war im Juli 1991. Auf der Hochzeit waren Olga und ich, die Newslins, Brudnos und das war’s. Keine Eltern, und auch sonst keine Gäste. Es ging fröhlich zu.«
    1991 – die Entscheidung
    Im August 1991 fuhren Brudno und Dubow nach Amerika. Chodorkowski und Newslin blieben hier, »im Betrieb«. Und zu dieser Zeit kam es in Moskau zum Putsch. Am 19. August bildeten die Silowiki, einschließlich des KGB -Chefs, der Innen- und Verteidigungsminister und einiger hochrangiger Parteifunktionäre das Staatliche Notstandskomitee, setzten Michail Gorbatschow und seine Familie in Foros 56 fest und vereitelten praktisch die Unterzeichnung des neuen Unionsvertrags zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken, die für den 20. August vorgesehen war. Der neue Vertrag hatte den Vertrag über die Gründung der UdSSR aufheben und die UdSSR durch eine Union souveräner Staaten ersetzen sollen, eine Art Föderation. Zu dieser Zeit hatte eine ganze Reihe ehemaliger Sowjetrepubliken praktisch ihre Abspaltung erklärt, darunter Litauen, Lettland und Estland, aber auch Moldawien, Georgien und Armenien. Die Verhandlungen für den neuen Vertrag waren sehr langwierig gewesen. Die Gegner des Vertrages, die sich im Staatlichen Notstandskomitee versammelt hatten, meinten, sie würden das Land vor dem Zerfall retten. Ich greife vor, wenn ich sage, dass die Augustereignisse in Moskau den Prozess des Zerfalls der UdSSR eigentlich noch beschleunigten.
    In Moskau tauchten Panzer auf. Eine Ausgangssperre wurde verhängt, einige Printmedien wurden geschlossen. Am Morgen des 19. August brachten sie Tschaikowskis Schwanensee im Fernsehen, was niemals Gutes verhieß, 57 dann erschienen die Mitglieder des Staatlichen Notstandskomitees auf dem Bildschirm, angeführt von Vize-Präsident Gennadi Janajew, dem ganz offensichtlich die Hände zitterten. Mir war es peinlich, das anzusehen, aus irgendeinem Grund jedoch überhaupt nicht schrecklich, aber sehr unangenehm.
    Das einzige Gegengewicht zu diesen »Rettern des Vaterlands« war die Regierung der Russischen Föderation mit Boris Jelzin an der Spitze. Das Zentrum des Widerstands befand sich im Regierungsgebäude, das, ich weiß nicht mehr seit wann, einfach nur »Weißes Haus« genannt wird.
    Für mich war alles ganz simpel: Es gab die widerwärtigen Parteibonzen mit ihren zitternden Händen, die versuchten, die Perestroika anzuhalten und die Geschichte im Land zurückzudrehen. Die Qualität des Umsturzes verblüffte mich: Im Land und auch in Moskau selbst funktionierten die Telefone und Faxgeräte, Flughäfen, Bahnhöfe und öffentliche Verkehrsmittel setzten ihren Betrieb fort. Nicht eine einzige Sekunde lang sympathisierte ich mit den Leuten vom Staatlichen Notstandskomitee. Hoffnungsvoll schaute ich auf Jelzin und sein Team und fuhr mehrere Male zusammen mit Journalistenkollegen ins Weiße Haus.
    Für Chodorkowski war die Lage komplizierter. Er war ja Anhänger eines starken Staates und er war Parteimitglied. Die Leute jenseits der Barrikaden waren ihm nicht fremd. Manche kannte er persönlich, und, wie Newslin sagt, »die waren nicht alle scheiße«. Die ziemlich realistische Perspektive, dass das Land zerfallen könnte, konnte Chodorkowski nicht unbesorgt lassen. Er fürchtete, die Union würde auseinanderbrechen. Ein großes und starkes Land gefiel ihm. Auch die Wirtschaftswelt gehörte für ihn zum Gerüst dieses großen Landes. Was das Staatliche Notstandskomitee zu sagen hatte, war für ihn nachvollziehbar und

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