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Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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oder industriell erst noch erschlossen werden sollten. (Anm. d. Ü.)
    56 Ein Urlaubsort an der Südspitze der Krim, nahe Jalta. Dort befand sich die Ferienanlage »Sarja« (»Staatsdatscha Nr. 11«), die ranghohen Staatsfunktionären vorbehalten war und in der sich Gorbatschow mit seiner Familie während des Putsches im August 1991 aufhielt. (Anm. d. Ü.)
    57 Die Übertragung des Balletts Schwanensee im Fernsehen kündigte oft die Bekanntmachung eines Trauerfalls an, gewöhnlich das Ableben eines Generalsekretärs. (Anm. Natalija Geworkjan)
    58 Oleg Baklanow war Sekretär des ZK der KPdSU für Verteidigungsfragen, Georgi Rasumowski Leiter verschiedener Abteilungen (für organisatorische Parteiarbeit und für Parteiaufbau und Kaderpolitik) im ZK der KPdSU. (Anm. Natalija Geworkjan)
    59 Auf einem Anwesen im belarussischen Nationalpark Beloweshskaja pustscha (Bialowiezer Heide) wurde am 8. Dezember 1991 das Abkommen über die Auflösung der UdSSR und die Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, GUS, unterzeichnet. (Anm. Natalija Geworkjan)

MICHAIL CHODORKOWSKI
    KAPITEL 5
    Politik
    1991 – der Putsch
    Was die Ereignisse des Jahres 1991 angeht, war das zwar psychologisch nicht einfach für mich, aber unentschlossen war ich nie. Ich war ohne Zweifel für den Erhalt der UdSSR, doch diese Frage stellte sich damals nicht so. Die Frage lautete: »für Reformen« oder »dagegen«.
    Dass sich etwas anbahnte, war klar. Trotzdem kam der Schwanensee wie immer überraschend. Zweifel gab es keine: Wir gehörten zu Jelzins Team und unser Platz war bei »unseren« Leuten. Jede andere Entscheidung wäre Verrat gewesen. Der Mensch ist ja bekanntlich kein ökonomisches Wesen, obwohl er oft versucht, sein Vorgehen mit rationalen, ökonomischen Beweggründen zu erklären. Liebe, Hass, Gewissen – das ist es, wofür man bewusst sein Leben hergibt. Für Geld riskiert man es allenfalls, aber mehr auch nicht.
    Wir lebten damals in einer gemieteten Datscha, an der Uspenskoje-Chaussee, zusammen mit Leonid Newslin, und wir hatten große Angst, dass, falls es »nicht richtig« liefe, ein Mob kommen und alles kurz und klein schlagen würde. Unsere Tochter war damals vier Monate alt. Zum Abschied umarmte ich beide. Ich half meiner Frau, das Gewehr zu laden. Wenn sie wirlich überfallen worden wäre – sie hätte geschossen, ohne nachzudenken. Meine Frau und ich sind uns ähnlich, nur dass sie emotionaler und härter ist. Sie versuchte nicht einmal, mich aufzuhalten, als ich ging: Was sein muss, muss sein. Dafür versuchten es die GAI -Leute, die Verkehrspolizei. Ich habe ihnen meinen Führerschein vor die Nase geknallt und fertig. Ein gesetzestreuer Bürger.
    Meinen Eltern habe ich nichts erzählt. Aber ihre Einstellung zu Ehre und Unehre kennt inzwischen ja das ganze Land. Wäre ich zum Verräter geworden, sie hätten mich verflucht. Letztlich hatte ich also keine große Wahl – bei so einer Familie …
    Nach anderthalb Stunden hatten wir es jedenfalls bis zum Weißen Haus geschafft, und wir blieben dort bis zum Schluss, bis klar war: Das war’s, wir hatten gesiegt. Danach gingen wir ein Eis essen. Klingt komisch? Das finde ich auch, aber aus irgendeinem Grund hatten wir genau darauf Lust.
    Natürlich hatten wir Angst. Wir waren ja Offiziere, mit militärischen Dingen kannten wir uns aus. Ich persönlich konnte mir nur zu gut vorstellen, was alles passieren konnte. 1993 kam es dann ja auch so. Panzer, die Erstürmung des Gebäudes … Eine Maschinenpistole habe ich ehrlich gesagt nicht in die Hand genommen. Ich war bereit, zu sterben, aber wohl nicht bereit, zu töten – obwohl es dazu wahrscheinlich sowieso nicht gekommen wäre, wenn es einen Sturm aufs Weiße Haus gegeben hätte.
    Einige Leute, die ich schätzte, hatten sich dem Staatlichen Notstandskomitee angeschlossen. Andere blieben auf Distanz – Gerastschenko zum Beispiel. 60 Auf der anderen Seite stand Jelzin, den ich kannte. Ein weiterer Grund, warum die Lage psychologisch schwierig war: Ich wusste, wozu die Gegenseite fähig war, und ich war überzeugt, dass eine Gefängnisstrafe noch die mildeste Variante für mich wäre. Wahrscheinlicher war, dass ich nicht überleben würde.
    Ideologisch war ich immer noch gespalten. Ich war einerseits für Reformen, andererseits war mir klar, dass die Partei dagegen war, und ich fühlte mich als ein Teil der Partei. In dieser Situation war die Frage, wo die »eigenen Leute« standen, wesentlich, um zu einer Entscheidung zu kommen.

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