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Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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Widerspruch, natürlich.
    Jeder an seinem Platz
    Ich weiß nicht, ob ich darüber sprechen sollte, aber Medwedew war schon, als wir uns 2003 begegneten, als »Apparatschik« stärker als ich – von Woloschin ganz zu schweigen.
    Bevor ich begriff, wie man gute Gesetze einführt, wenigstens im Bereich der Industrie, brauchte ich erst all die Erfahrung, die ich bei meinem schrittweisen Aufstieg als Unternehmer und Manager sammeln konnte. Bis etwa 2001, 2002 hätte ich den gleichen Mist verzapft wie die, die an den entscheidenden Stellen saßen.
    Zusammenfassend kann ich sagen: Ja, wir haben einen Fehler gemacht, aber der Fehler war nicht, dass wir nicht selbst an die Stelle der damaligen Bürokraten getreten sind, sondern dass wir nicht in der Lage waren, oder genauer gesagt: dass wir gar nicht versucht haben, die demokratischen Mechanismen und ihre Träger zu stärken. Obwohl ich auch heute nicht sicher weiß, wie man das zu jener Zeit, unter den damaligen Bedingungen praktisch hätte anstellen können. Kurios – vor ein paar Jahren dachte ich noch, ich wüsste es, aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Es versuchen – ja, das hätten wir gekonnt. Aber ob wir es geschafft hätten, dessen bin ich nicht gewiss.
    Die Verfassungskrise von 1993 und der Beschuss des Weißen Hauses
    Das ist die unangenehmste meiner Erinnerungen. Im Jahr 1993 glaubte ich, wir wären einem Bürgerkrieg näher als 1991. Im Jahr 1991 standen sich die Staatmacht und die Menschen, die Gesellschaft gegenüber. Aus meiner Sicht wäre es gänzlich falsch, 1993 auf eine Konfrontation zwischen dem Präsidenten und dem Parlament zu reduzieren. 64 Hinter ihnen standen riesige Gruppen, und sie standen nicht einfach nur da, sondern waren bereit, zu den Waffen zu greifen. Davor bewahrt hat uns alle ein Wunder.
    Trotzdem denke ich sehr ungern an den Beschuss des Weißen Hauses zurück. Das war eine Art Wahnsinn, der alle erfasst hatte. In guten Bekannten sahen wir Feinde oder vielmehr sahen wir in denen, die uns gegenüberstanden, unsere guten Bekannten nicht mehr. Als sich die erhitzten Gemüter beruhigt hatten, als Freunde davon erzählten, wie sie im Parlamentsgebäude gewesen waren – einfach deshalb, weil sie es nicht rechtzeitig nach draußen geschafft hatten, wie sie während des Beschusses mit Panzerkanonen auf dem Boden gelegen und auf ihren Tod gewartet hatten, begriff ich mit Schrecken, wer da auf der anderen Seite gestanden hatte, ich erinnerte mich an das, was ich selbst gedacht hatte, und erkannte, wozu ich unwillentlich hätte beitragen können. Das ging mir nicht sofort auf, sondern erst später, nach und nach …
    Hätte man sich damals auch anders helfen können? Ich bin sicher, ja. Das war mir auch seinerzeit schon klar, und 1996 haben wir vorgemacht, wie das ging. Doch dazu später.
    Damals aber, nachdem der militärische Weg einmal eingeschlagen war, stand ich natürlich auf der Seite Jelzins und Gaidars. Sowohl vor dem Moskauer Stadtrat, in Erwartung eines Angriffs, als auch im Sitz der Präsidialadministration, wo ich bei der Lösung praktischer Probleme half. Die sich hier versammelt hatten, waren auch meine Mannschaft. Selbst wenn sie falschlagen, konnte ich mich doch nicht abseits stellen.
    Um es gleich zu sagen: Schwankungen und Unbehagen gab es davor und auch danach. Solange gekämpft wurde, schwankte ich nicht. Böser, härter, schneller! Der Eifer des Gefechts reißt einen leicht mit, besonders in jungen Jahren. Eben deshalb ist das Jahr 1993 bis zum heutigen Tag meine schlimmste Erinnerung und mein schwerstes Kreuz.
    Hätten Ruslan Chasbulatow und Alexander Ruzkoi gewonnen, wären sie, ungeachtet ihrer eigenen (im Großen und Ganzen recht »marktwirtschaftlichen«) Ansichten, gezwungen gewesen, den Weg der Restauration zu gehen. 65 Der Konflikt war insofern unvermeidlich. Aber die Art, wie er gelöst wurde, war nicht die einzig mögliche, und sie war furchtbar. Die Folgen spüren wir bis heute, in Form der »superpräsidialen Machtvertikale« oder, einfach gesagt, des Autoritarismus, dessen Grundlagen damals, 1993, gelegt wurden.
    Jelzin
    Jelzin bin ich oft begegnet. Sowohl in Gruppen als auch individuell. Aus meiner Sicht gehörte ich seit 1990, als ich zu seinem Team stieß, zu »Jelzins Leuten«. Gekannt hatte ich ihn auch früher schon, wenn auch nur indirekt – über das KPdSU -Komitee des Stadtbezirks Swerdlowski, dem er nach dem Rücktritt vom Amt des Sekretärs des Moskauer Stadtkomitees angehörte. Für

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