Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
gewöhnlich war bei unseren Begegnungen auch einer seiner Assistenten anwesend, denen er Aufträge erteilte. Obwohl wir uns schon lange kannten, waren unsere Beziehungen stets korrekt und geschäftsmäßig und wurden von seiner Seite erst nach dem Rücktritt etwas persönlicher. Er war ein Zar, und dementsprechend habe ich mich ihm gegenüber auch immer verhalten.
Bei unserem wohl längsten Gespräch ging es um den Vorsitz in der Zentralbank, im Jahr 1992 – damals sagte Jelzin zu, Gerastschenko zurückzuholen. Ich hatte ihm erzählt, welche Probleme es gab, ihn mehrere Stunden lang davon überzeugt, dass das notwendig war. Es gab aber auch andere Gespräche, darunter sehr schwierige. Über die Wahlen, über das Verhältnis zu den Amerikanern. Ich will das hier nicht im Einzelnen wiedergeben. Exakt kriege ich das nicht mehr hin, vieles ist schon von anderen Dingen überlagert, und lügen will ich nicht. Der Form nach waren das aber stets Gespräche nicht mit einem »Dienstherren«, sondern mit einem älteren Kollegen, dem man direkt seinen Standpunkt sagen und sogar darauf beharren kann, auch wenn man weiß, dass man über weniger Erfahrung und weniger Informationen verfügt und dass er es ist, der an erster Stelle die Verantwortung zu tragen hat. »Traurige Konsequenzen« hatten diese Gespräche nie. Selbst, wenn BEN , wie Jelzin oft genannt wurde, 66 anderer Meinung war. Sein Sicherheitschef Alexander Korshakow hat mir 1996 einmal Gefängnis angedroht, das ja, und er meinte die Drohung ernst. Der Grund war eben ein Gespräch mit BEN über die Wahlen 1996. Korshakow und die Silowiki bestanden auf einem Verbot der KPRF . Wir waren gegen die Absetzung der Wahlen und gegen ein Verbot der Kommunisten. Wir fanden, dass man auch ohne Extreme siegen kann. Die Position der Silowiki war natürlich eine andere. Das ist die – bei den Silowiki berufsbedingte – Angst vor freien Wahlen.
Auch Putin habe ich, wie Jelzin, mehrmals sowohl unter vier Augen als auch im Rahmen größerer Besprechungsrunden getroffen. Jelzin bevorzugte die Anwesenheit eines Assistenten, der formlos Protokoll führte und Anweisungen aufschrieb. Putin verließ sich, wie ich das sehe, mehr auf sein Gedächtnis, vielleicht aber auch auf die Technik. Für mich persönlich war Jelzin wie ein älterer Kollege, den unsere Angelegenheiten gewöhnlich nicht sonderlich interessierten, der aber irgendwie immer rechtzeitig mitbekam, wenn ein Problem akut wurde, und dann einschritt. Er war die Führungsfigur der Veränderungen, ein Mensch, der in seinem Denken sehr flexibel war. Putin ist in meiner Wahrnehmung eher ein Beamter, der so leicht nichts vergisst, der die Menschen für sich einnehmen, ihnen zuhören kann. Aber im Gegensatz zu Jelzin hat Putin ein eigenes starres Weltbild im Kopf. Wenn sich deine Gedanken dort einfügen lassen, ist alles bestens. Wenn nicht, gibt es keine Argumente, die seine innere Haltung ändern könnten. Er wird allenfalls so tun, als ob. Aufgrund seiner ganz speziellen Lebenserfahrung und zumal mit zunehmendem Alter ist Putin die ideale Führungsfigur für eine Stagnation. Der wesentliche und grundlegende Unterschied zwischen Putin und Jelzin war dessen Verständnis von Veränderungen, vor allem aber seine Fähigkeit, eigene Fehler einzugestehen.
Hatten meine Treffen mit Jelzin einen praktischen Sinn? Manchmal mussten tatsächlich Probleme »auf Präsidentenebene« gelöst oder besprochen werden. Vor allem aber ging es darum, über die eigene Arbeit zu berichten, um beim Staatschef nicht den Eindruck eines ihm unzugänglichen Bereichs aufkommen zu lassen, aber auch um etwaige Einwände aus erster Hand zu hören, um später zu wissen, auf welche Forderungen der Beamten man reagieren musste und welche als Eigenmächtigkeiten aufgefasst werden durften. Und um eben diesen Beamten vorzuführen, dass ihre Wünsche sich durchaus überprüfen ließen. Lauter praktische, pragmatische Dinge.
Der Kaukasus und der Krieg
Der Tschetschenien-Konflikt ist und bleibt ein Drama, und die Methoden seiner Beilegung sind falsch. Ich bin froh, dass mich dabei niemand um Rat gefragt hat, und mich ungefragt einzumischen, hatte ich aus nachvollziehbaren Gründen kein Verlangen. Obwohl das Ganze natürlich nicht an mir vorbeiging.
Bis 1996 leitete ich die Menatep-Bank, und wir kreditierten unter anderem auch Projekte, bei denen Vertreter verschiedener »nordkaukasischer Völker« als Vertragspartei auftraten. So war beispielsweise ein beträchtlicher
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