Mein Weg zum Herzkind
Sweatshirt, Turnschuhe und eine sportliche Lederjacke. Meine langen Haare hatte ich locker zu einem Pferdeschwanz gebunden und auf eine große Maskerade verzichtet. Eine Fotokamera und ein paar Bilder unserer Familie hatte ich in meiner Tasche. Sollte ich wirklich als Mutter ausgewählt werden, wollte ich, so wie ich es im Kurs gelernt hatte, ein Bild der leiblichen Mutter machen, um eine Erinnerung auch für mein Kind zu haben.
Pünktlich um 15 Uhr hatten meine Mutter und ich den Raum
der Adoptionsvermittlung erreicht, dort wartete bereits die Sozialarbeiterin auf uns. Sie begrüßte uns herzlich und machte ein hoffnungsvolles Gesicht. Wir nahmen auf dem kleinen Sofa Platz, als die Tür erneut aufging. Ich erkannte die junge Mutter sofort. Ein hübsches, hochgewachsenes Mädchen. Gefolgt von ihrer Mutter betrat sie das Zimmer. Die »Oma« machte einen ebenso sympathischen Eindruck wie ihre Tochter und sah auch noch recht jung aus. Nach einer kurzen Begrüßung saßen wir nun in einer Runde. Recht schnell begann die Mama der jungen Mutter mich einiges zu fragen: über mein Leben, meine Vorstellungen und meinen Glauben. Es wurde ein herzlicher Austausch. Plötzlich und ziemlich unvermittelt zog die junge Frau ein Foto aus ihrer Handtasche. Ein Bild eines Neugeborenen. Sie zeigte mir das Bild und sagte dann: »Das ist die Kleine, jetzt bist du die Mama.« Zuvor hatte sich das Mädchen sehr zurückgehalten, kaum etwas gesagt und nun schenkte sie mir ihr Kind. Wir fielen uns in die Arme und weinten beide. Dieser fremde Mensch war mir auf einmal so nah. Und machte mir dieses unendlich große Geschenk. Unweigerlich mussten auch meine und ihre Mutter weinen. Ich glaube, selbst die Sozialarbeiterin war gerührt in diesem Moment. Dann gab es eine Runde Taschentücher zum Tränentrocknen und irgendwie war es eine herzliche, befreiende und tief berührende Atmosphäre. Doch nach aller Emotionalität mussten noch die nötigen Fakten für die Abwicklung der Adoption besprochen werden. Ein Foto habe ich im Amt nicht gemacht. Die abgebende Mutter versprach mir, eines zu schicken, und wir planten in Kontakt zu bleiben. Es war so surreal. Ich war gerade Mutter geworden. Im Jugendamt. Meine Tochter lebte zu dieser Zeit in einer Pflegefamilie.
In wenigen Tagen sollte ich sie dort abholen. Bis dahin gab es eine Menge zu tun. Ich hatte weder ein Kinderbett, einen Kinderwagen noch Kleidung oder überhaupt irgendetwas für mein Kind zu Hause.
In Hochgeschwindigkeit organisierte ich alles, was unser neues Familienmitglied zu seinem guten Start brauchte. Die Tatsache, dass ich noch zwei, drei Tage mit in der Pflegefamilie leben würde, um dort meine Tochter kennenzulernen, machte mich etwas unsicher. Wieder traf ich auf wildfremde Menschen, die ohne mein Zutun involviert waren in mein Mutterglück. Aber es war der Endspurt.
Eine nette Pflegefamilie hatte die kleine Amadea, so habe ich mein Mädchen getauft, nach ihrem Krankenhausaufenthalt bei sich aufgenommen. Dass Säuglinge in der Achtwochenfrist zu Pflegefamilien kommen, ist keine Seltenheit. Jetzt, wo Amadeas leibliche Mutter mich ausgewählt hatte und die nötigen Formalitäten erledigt waren, musste allerdings die Pflegefamilie Abschied nehmen.
Ich erinnere mich genau an unsere erste Begegnung. Die Pflegemutter hatte Amadea auf dem Arm. Sie war komplett in rosa gekleidet und hatte diesen dunklen Flaum auf dem Kopf. Ich musste schmunzeln. Meine Freude an Rosa hält sich nämlich in Grenzen und ich hatte mir vorgenommen, bestimmt kein rosa Baby zu haben. Jetzt hatte ich eins. Ich bekam das Bündel Leben in meine ausgestreckten Arme gelegt und war sofort verzaubert. Sie roch so gut. Der Duft von Baby stieg in meine Nase, und ihre Haut war so zart. Die kleine Stupsnase und die winzigen Händchen! Ich staunte. Ein echtes Wunder! Amadea schlief. Ab und zu öffnete sie mal ihre Äuglein, um dann
aber gleich wieder einzuschlummern. Ich küsste vorsichtig ihre Wange und versprach ihr leise, ganz bald endlich nach Hause zu fahren.
Ein Jahr Mutter auf Probe
Endlich fuhr ich in unsere Einfahrt. Ein letztes Mal sah ich mich prüfend zur Rückbank um. Amadea hatte ich dort in ihrem Maxi-Cosi befestigt. Ihre Augen waren geschlossen, und sie sah sehr friedlich aus. Das gestreifte Mützchen war tief ins Gesicht gezogen und die kleinen Füße hatte ich mit extra dicken Wollsocken versehen. Ich parkte den Wagen, drehte den Schlüssel um und atmete tief ein. Da waren wir also. Zuhause. Meine
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