Mein Weg zum Herzkind
Mutter, die mich wieder begleitet hatte, begann bereits unser Gepäck ins Haus zu tragen, als ich die kleine Maus vom Sitz abschnallte und sie voller Stolz aus dem Wagen holte, um sie meinem Vater zu zeigen.
Jetzt war ich also auf mich allein gestellt. Freudig richtete ich in der Wohnung, die ich in unserem großen Fachwerkhaus bewohnte, Amadeas Sachen her. Dabei ließ ich meine Tochter kaum aus den Augen. Ich hatte keine rechte Vorstellung davon, wie mein Tagesablauf nun sein würde. Ich wusste nicht, was tatsächlich auf mich zukam. Und dann passierte es auch schon: Amadea fing an zu schreien. Ich hatte wohl von ihrer Pflegemutter einige Tipps bekommen und auch erfahren, dass sie kein leises Kind sei, aber was mir jetzt widerfuhr, war meine Feuertaufe. Meine Tochter wurde immer lauter und lauter. Ich
nahm sie auf den Arm, herzte und schunkelte sie, sprach sanft auf sie ein, dass ich doch bei ihr sei. Ich sang Kinderlieder, versuchte sie zu beruhigen, aber nichts half. Sie schrie und schrie und schrie. Dabei fing sie an rot zu werden und zu schwitzen. Ich versuchte es mit dem Fliegergriff, lief mit dem Kind über meinem Arm von einem Zimmer zum nächsten und zurück. Nichts brachte sie zur Ruhe. Langsam stieg in mir die Panik auf. Wie sollte das nur ausgehen? Wie sollten erst die Nächte werden? Ich rotierte. Vielleicht war die Hose voll? Ich kontrollierte die Windel des immer noch schreienden Säuglings. Meine Hände zitterten. Nervös grub ich mich durch die vielen Kleidungsschichten. Doch nichts. Daran lag es nicht. Vielleicht hatte sie Hunger? Ich sah auf die Uhr. Noch keine Zeit für eine Flasche. Egal – ich musste etwas tun. Dieses Geschrei machte mich wahnsinnig. Nicht zu wissen, was ihr fehlte, war das Schlimmste. Ich spürte ihre Unruhe. Angst. Ihre verzweifelten Schreie. Ich bat meine Mutter um Hilfe. Nicht mal zwei Stunden war meine Tochter in meiner Obhut, in meinem Haus, da wusste ich schon nicht mehr weiter. Was für ein Start in ein gemeinsames Leben! Irgendwann hatte sich die Kleine wahrscheinlich aus Müdigkeit endlich beruhigt. Eine Flasche wollte sie auch nicht. Ich trug sie immer noch auf meinem Arm, als sie mit dem Kopf an meinem Herzen einschlief. Gerade mal acht Wochen alt und schon zweimal umgezogen. Wie sollte dieses Kind denn in sich ruhen und friedlich sein? Ich hatte Mitgefühl mit ihr. Ich versprach ihr, immer für sie da zu sein. Ich hatte mir diesen Augenblick lange herbeigesehnt und nun war er Wirklichkeit geworden. Ein kleines Wesen, das meine Fürsorge und Liebe brauchte, ein unschuldiges Kind, das schon einen recht
turbulenten Start in sein Leben gehabt hatte. Ich war dankbar und ergriffen in diesem Moment gemeinsamer Stille. Sie ist mein Herz.
Es blieb nicht still. Amadea entwickelte sich zu einer recht lauten Mitbewohnerin in unserer Familie. Besonders die Nächte nutzte sie für ihre Schreiattacken. Regelmäßig lief sie dabei von rot bis violett an. Die ersten Tage und Wochen stresste mich dieser Zustand sehr. Der fehlende Schlaf tat sein Übriges. Ich war nur noch auf meine Tochter konzentriert und damit beschäftigt sie zufriedenzustellen, um dann selbst etwas Entspannung zu finden. Mein Leben bestand daraus, Windeln zu wechseln, Babybrei zuzubereiten und mein Kind in den Schlaf zu schaukeln. Ich wollte es perfekt machen.
Irgendwann wurde es ruhiger, aber dann kam eben eine neue Hürde. Schließlich hatte ich die Adoptionspflegezeit, in der wir uns befanden, nicht vergessen – nur verdrängt. Ich war eine Mutter auf Probe. Kein schöner Gedanke, vertieft man ihn. Sicher sind die Abläufe des Amtes alle zum Wohle des Kindes erklärbar, aber der Aufwand und die Hürden, die Adoptiveltern für ihr Kinderglück auf sich nehmen, sind bisweilen sehr nervenaufreibend. Mehrere Kontrollen der zuständigen Sozialarbeiter, eine Vormundschaft durch eine weitere Person des Amtes, die auch einen Hausbesuch macht, und die ständigen Erklärungen bei verschiedensten Institutionen, warum mein Kind einen völlig fremden Namen trägt, sind Standard im Prozedere. Die Regeln engen einen gefühlsmäßig sehr ein. Ein Auslandsaufenthalt ist beispielsweise im Adoptionspflegejahr nur mit Zustimmung des Amtes möglich, Urlaube gilt es mitzuteilen
und eine Taufe muss genauso besprochen werden wie ein Krankenhausaufenthalt. Dabei fühlt man sich ziemlich unfrei als Mutter. Ich erinnere mich gut an die Phase, als langsam die Papiere für die endgültige Adoption gesammelt wurden. Ein letzter
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