Mein wildes Herz
ein Mann. Bei der Kutsche blieben sie stehen.
„Nun, Vater, was schlägst du vor, was wir jetzt tun sollen?“
„Wie? Oh ja … ja, darüber müssen wir reden.“ Er sah zu dem riesigen blonden Mann hoch. „Du hast keinen Ort, wohin du gehen könntest, Leif of Draugr. So viel ist klar. Bis du eine Lösung für dein Problem gefunden hast, kannst du bei uns bleiben.“
Leif schien über den Vorschlag nachzudenken. „Ich brauche ein Schiff, um nach Hause zurückkehren zu können.“ Sein Blick schweifte über die belebten Londoner Straßen. „Der Ort hier, an dem ihr lebt … wie heißt der?“
„London“, entgegnete der Professor.
„Auf Draugr träumten die jungen Männer jahrelang davon, ferne Orte zu sehen … Orte, von denen unsere Vorfahren in den Sagas erzählten. Aber es gab keinen Wald mehr. Man konnte keine Segelschiffe bauen, wie unsere Vorväter es taten, die zu ihrer Zeit große Wikingerkrieger waren. Dann strandete ein Schiff auf den Felsen am nördlichen Ende der Insel, und wir erhielten endlich die Gelegenheit, auf die wir gewartet hatten.“
Seine Augen suchten Krista, und sein Blick war intensiv, dass sie meinte, ihn auf der Haut spüren zu können. Dann wandte er sich wieder an ihren Vater.„Ich verließ die Insel, um die Welt zu erkunden … um alles zu lernen, was ich lernen konnte. Bis jetzt habe ich nur Grausamkeit kennengelernt. Aber ich glaube, man kann hier auch Gutes finden. Mehr denn je muss ich also noch lernen. Willst du mich unterrichten?“
Der Professor strahlte förmlich. „Wir beide schließen einen Handel ab. Ich werde dich unterrichten – wenn du mich unterrichtest!“
Auf dem Gesicht des blonden Mannes erschien ein Lächeln, und in seinem dichten Bart blitzten blendend weiße Zähne auf. Das Lächeln verwandelte seine Züge und ließ ihn jünger aussehen.
Fast nackt stand er da, und zum ersten Mal sah Krista ihn als Mann. Er besaß den Körper eines Wikingerkriegers, eine erstaunlich männliche Statur, die Krista einen kleinen Schauer über den Rücken jagte.
Ihrem Vater musste aufgefallen sein, wohin sie schaute, denn er öffnete den Schlag, holte eine Decke unter dem Sitz hervor und legte sie Leif um die mächtigen Schultern. Einen Moment lang wich der kleine Affe zur Seite und kauerte sich dann wieder auf seinen Platz.
„Ich glaube, die Leute haben dich genug angestarrt.“
Leif nickte nur und umklammerte die Decke, während Krista in die Kutsche stieg und Platz nahm.
Als Nächster stieg der Professor ein, gefolgt von Leif. Mit seiner großen Gestalt schien er das Innere des Wagens auszufüllen. Als die Kutsche anfuhr, ertappte Krista sich dabei, wie sie sein Gesicht betrachtete, die hohen Wangenknochen und die unglaublich blauen Augen.
Sie fragte sich, wie alt er war und wie er wohl ohne die langen Haare und den ungepflegten Bart aussehen mochte.
5. KAPITEL
„Ich weiß nicht recht, wie es jetzt weitergehen soll“, sagte der Professor zu Krista, als sie im Eingang zu ihrem Stadtpalais standen.
„Er braucht etwas zum Anziehen.“ Krista gab sich Mühe, nicht auf die kraftvollen Beine unterhalb der Decke zu starren, die Leif fest um seine starken Schultern gewickelt hatte. „Er braucht eine Rasur, und er braucht einen Haarschnitt.“
„Ja, ja, natürlich.“ Ihr Vater wiederholte die Worte für Leif, dessen Miene sich bei seinen Worten leicht verhärtete. „Wenn du hier leben willst, wirst du dich unserer Lebensweise anpassen müssen“, meinte der Professor. „Willst du das?“
Leif blickte von Kristas Vater zu ihr und nickte.„Ich bin hier. Also habe ich keine andere Wahl.“
Er blickte sich um, sah zu dem Licht hoch, das sich in dem geschliffenen Kristall des Lüsters über ihnen brach, und dann hinunter auf den schwarz-weißen Marmorboden unter seinen nackten Füßen. Dank Margaret Harts erlesenem Geschmack war es ein elegantes Domizil. Die Salons, das Frühstückszimmer und die Gästezimmer waren alle in hellen, zarten Farben gehalten und mit exquisiten Tapeten ausgestattet. Die Herrenräume – Studierzimmer, Bibliothek und Billardzimmer – besaßen dunkle Holzverkleidungen und schwere, mit Schnitzereien verzierte Möbel.
Leif betrachtete die elegante Umgebung, und Krista konnte ihm sein Erstaunen vom Gesicht ablesen. Er ging und griff nach einer kristallenen Lampe. „Das ist fürs Licht?“
„Ja“, sagte Krista. „Sie verbrennt Öl.“
„Wir benutzen Kerzen und Fackeln. Das hier ist eine gute Idee.“
Krista unterdrückte ein
Weitere Kostenlose Bücher