Mein wildes Herz
schön wie die Sünde und gebaut wie ein Wikingergott. Er war das vollkommenste Mannsbild, das Krista je gesehen hatte. Sie hielt ihrem Vater die Kleider hin.„Er ist immer noch fast nackt, und er ist … er ist …“
„Ja?“
Was sollte sie sagen? Dass es sie beunruhigte, welchen Weg die Gedanken dieses Mannes nahmen? Aber vielleicht tat sie ihm unrecht. Schließlich war der arme Kerl die letzten sechs Monate in einem Käfig eingesperrt gewesen, und er war doch, das konnte man nicht übersehen, ein sehr männlicher Mann.
„Lass gut sein.“ Sie drückte ihrem Vater die Kleider in die Hand. „Sie werden ein wenig eng sein, aber wenigstens wird er darin anständig aussehen.“
Ihr Vater nickte. „Ich bringe sie ihm sofort.“
Krista sah zu, wie ihr Vater den Gang hinunterging und im Badezimmer verschwand. Wenige Minuten später kam er zurück.
„Er zieht sich jetzt an. Sicher ist er hungrig. Ich habe ihn gebeten, mit uns zu Abend zu essen. Sag der Köchin bitte, dass ein zusätzliches Gedeck aufzulegen ist, ja?“
Krista versuchte sich vorzustellen, wie der riesige Mann mit ihnen an einem Tisch saß. Er war ein Barbar. Er entstammte einer Kultur, von der man angenommen hatte, dass sie vor mehr als dreihundert Jahren verschwunden war. Auch wenn Krista die Wikinger faszinierend fand, so waren sie doch ein wildes, grausames und primitives Volk.
Innerlich stöhnte sie auf. Wenn sie doch nur einen Weg wüsste, wie sie Leif of Draugr nach Hause schicken könnte.
Leif hatte sich das Haar mit dem Handtuch trocken gerieben und genoss das Gefühl, kurz geschnittene blonde Locken und glatte, bartlose Wangen zu haben. In seiner Welt trugen die Männer lange Haare und Bärte. Doch in den Monaten seit seiner Gefangennahme hatte er seinen schier unbezähmbaren Haarwust und den ungepflegten Bart hassen gelernt.
Vielleicht gab es an diesem London genannten Ort doch einige ganz brauchbare Sitten.
Er zog die Kleider an, die Paxton Hart ihm gegeben hatte. Die Beinlinge – hier nannte man sie Hosen – waren zu kurz und saßen so eng, dass er Angst hatte, die Nähte würden platzen. Vorne wölbte sich seine Männlichkeit vor und drückte sich so fest gegen den Stoff, dass es wehtat.
Zu Hause trugen die Männer bequeme, lose fallende Beinlinge unter ihren Kitteln, die bis über die Knie reichten. Im Sommer waren die Tuniken kürzer, und die Beine waren, bis auf die kniehohen Stiefel, unbedeckt.
Leif zog an dem weißen, gewebten Kleidungsstück – ein Hemd hatte Paxton es genannt. Paxton war ein Professor. So nannten sie hier einen Ratgeber. In Leifs Welt gab es keine festen Orte wie hier, an denen man lernte. Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben: wie man Getreide anbaut, wie man Schafe, Ziegen und Vieh züchtet oder im Meer Fische und Robben fängt und wie man kämpft, um seine Familie zu beschützen. Leif hatte das immer für gut und richtig gehalten.
Es gab auch eine Schriftsprache auf Draugr. Vieles aus ihrer Geschichte war aufgeschrieben worden, sodass jede Generation ihre Erinnerungen hatte. In dieser neuen Welt wurden Informationen in ein Buch geschrieben, wie der Professor es nannte.
„Ich habe einen sehr großen Raum voller Bücher“, hatte der Mann voll Stolz zu ihm gesagt. „Wenn du erst einmal Englisch sprechen kannst und Schreiben gelernt hast, wird dir die ganze Welt offenstehen.“
In diesem Augenblick erschien Alfinn, durchstreifte das Badezimmer und untersuchte Wanne und Waschbecken. Leif drehte sich um und warf einen Blick in den Spiegel. Er sah, dass das weiße Hemd über seinen Schultern spannte und die Nähte sich dehnten. Und seine Arme waren ein wenig zu lang für die weiten, gekräuselten Ärmel.
Aber er hatte sich bedeckt, und seine Würde war wieder hergestellt.
Er musste lächeln. Während seiner Gefangenschaft hatte er gelernt, wie prüde die Frauen hier waren und dass sie so taten, als wüssten sie nur wenig über die Männer. Doch ihre Augen hatten sie oft verraten und ihre Neugier gezeigt oder ihre Gedanken, die eher lüsterner Natur waren.
Selbst die Blonde war neugierig. Ihr hatte sein Aussehen auch gefallen und wie sein Körper ohne Bekleidung aussah. Auch er würde sie gerne einmal so sehen. Allerdings glaubte er nicht, dass dies dem Professor gefallen würde.
Selbst auf Draugr beschützte ein Vater die Tugend seiner Tochter, und eine junge Frau schenkte sich ihrem Ehemann unberührt. Aber es gab auch Frauen, die einen vergnügten Abend genauso zu
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