Mein Wille geschehe
von den Fernsehsendern schalteten ihre
Minicams bereits ein, als sie noch mehrere Stra-
ßenzüge entfernt waren. Ihnen bot sich ein An-
blick totaler Verwüstung. Zwischen den Rettungs-
fahrzeugen hindurch wurden die Kameras auf
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Leichenteile gerichtet, die zwischen qualmenden
Resten von Mobiliar und medizinischen Geräten
lagen. Die Mikrofone hielten das grauenvolle
Stöhnen der Sterbenden, das Wimmern von Kin-
dern und die Schreie von Erwachsenen fest. Über
allem hing der entsetzliche Geruch von verbrann-
tem Fleisch. Das alte Gebäude war dem Erdboden
gleichgemacht.
»Binnen Minuten«, gab der Einsatzleiter der Feu-
erwehr mit rauer Stimme bekannt. »Wir konnten
nichts mehr tun, außer die Verletzten und Toten
zu bergen.«
»Wie viele Opfer hat es Ihrer Einschätzung nach
gegeben?«, wollte ein Reporter wissen.
Der Einsatzleiter seufzte. »W7ir wissen es noch
nicht«, sagte er. »Wir müssen zunächst die… Tei-
le zuordnen. Es kann Tage oder sogar Wochen
dauern, bis eine eindeutige Identifizierung mög-
lich ist.«
Ein Fotograf von der Seattle Times schoss das Bild, das man später immer mit diesem Gescheh-nis in Verbindung bringen würde. Darauf war die
dreißigjährige Janet Holman in ihrem Arztkittel zu sehen. Sie stand inmitten der Trümmer und hielt
einen kleinen Arm in der Hand, der noch in einem
blau gestreiften Ärmel steckte. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck namenlosen Grauens und absoluter Fassungslosigkeit.
»Wir haben soeben eine Nachricht erhalten«,
sagte Nachrichtensprecherin Joyce Taylor Minu-
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ten später im Fernsehen. »Im Hill House kam es
zu einer schweren Explosion, deren Ursachen
noch nicht bekannt sind. Bislang wissen wir nur,
dass das Gebäude vollständig zerstört wurde und
es zahlreiche Tote und Verletzte gibt.«
Auch Dana McAuliffe hatte einen persönlichen
Bezug zum Hill House. Sie ging seit über zehn
Jahren dorthin, wenn sie gynäkologische Betreu-
ung brauchte, und hatte erst vor einem Monat
dort ihre alljährliche Untersuchung machen las-
sen.
»Das gibt es doch einfach nicht«, rief sie aus, als sie nach ihrer Mittagspause in die Kanzlei zurückkehrte. »Und ich dachte, es sei ein Zugunglück
gewesen.«
»Es stimmt aber«, versicherte ihr Angeline Wil-
der. »Ich hab es im Radio gehört. Irgendwie auch
unheimlich, dass der Arzt gerade hier war.«
»Großer Gott, natürlich«, rief Dana erschrocken.
»Er wollte dorthin zurück.«
Angeline schüttelte den Kopf. »Sie hätten diesen
Bericht neulich nicht bringen sollen. Der war bestimmt daran schuld. Ich wette, da hat einer ’ne
Bombe gelegt.«
»Ich will Erklärungen, und zwar sofort«, brüllte
der Gouverneur von Washington in seinem Büro
in Olympia etwa hundert Kilometer entfernt.
»Wir wissen noch gar nichts«, erwiderte sein
Stabschef. »So was will ich nicht hören«, lautete die Antwort. »Irgendjemand muss etwas wissen,
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die wollen bloß nicht reden. Ich bin der Gouver-
neur dieses Staates, und ich verlange Erklärun-
gen, verdammt noch mal. Besorgen Sie mir ge-
fälligst welche. Und solange es keine gibt, halten Sie mir die Medien vom Hals.«
»Sie müssen aber in Kürze ein Statement abge-
ben«, sagte sein persönlicher Berater.
»Das werd ich auch tun«, erwiderte der Gouver-
neur. »Deshalb sind Sie doch gleich unterwegs,
nicht wahr? Ich beabsichtige, dieses Jahr wieder
gewählt zu werden, und ich werde mich nicht
zum Narren machen, indem ich jetzt etwas Fal-
sches sage.«
Die Ermittler brauchten nicht lange, um die Ursa-
che der Katastrophe zu finden. Als es der Feuer-
wehr gelungen war, den Brand zu löschen, mach-
ten sich die Sprengstoffspezialisten des King
County sowie mehrere Einheiten des FBI ans
Werk.
Das Gelände war von der Polizei abgesperrt wor-
den und wurde nun sorgfältig untersucht, wobei
die Ermittler binnen kurzem auf Stofffetzen, Spu-
ren von Dünger und Chemikalien und Teile eines
kleinen Zeitzünders stießen. »Ursache der Explo-
sion war zweifellos eine Bombe«, erklärte der Leiter der Spezialeinheit. »Und wer sie platziert hat, kannte sich gut damit aus. Sie war auf maximale
Wirkung angelegt.«
»Wird Ihnen diese Spur dabei helfen, den
Dreckskerl zu schnappen?«, fragte jemand. »Es
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ist zumindest ein Anhaltspunkt.«
Bei einer hastig einberufenen Pressekonferenz
bemühte sich ein Sprecher des Bürgermeisters
von Seattle, der bestürzten und besorgten Öf-
fentlichkeit zu versichern,
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