Mein Wille geschehe
mir gesagt hat, ich solle mir keine Sorgen machen, falls sie nicht zu Hause ist, wenn ich von der Schule komme.«
»Kannst du sie mir beschreiben?«, fragte die Frau von der Hotline freundlich. »Sie ist ganz dünn.«
»Wie alt ist sie?«
»Weiß ich nicht genau. Ziemlich alt, glaube ich.«
»Wie sieht sie aus? Welche Haarfarbe hat sie und
welche Augenfarbe?«
»Braun«, antwortete Justine.
»Schätzchen, ist dein Papa zu Hause? Kann ich
ihn mal sprechen?«
»Nein, der ist nicht da«, sagte das Mädchen. »Um
den mache ich mir aber keine Sorgen, der kommt
oft erst ganz spät nach Hause.«
»Bist du ganz alleine zu Hause?«
»Nein, nein«, versicherte ihr Justine. »Mein Bru-
der ist auch noch da.«
»Das ist gut«, sagte die Telefonistin erleichtert.
»Wie alt ist er?«
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»Sechs.«
Joshua Clune wollte nicht aus seinem Karton
kommen. Big Dug redete auf ihn ein, doch sein
Freund rührte sich nicht von der Stelle.
»Ich hab dich überall gesucht«, erklärte der bär-
tige Hüne. »Weißt du schon das Neuste?«
»Nein«, murmelte Joshua.
»Jemand hat heute Nachmittag Hill House in die
Luft gesprengt, und es ist völlig abgebrannt.«
Joshua schwieg.
»Ich hab gehört, dass fast alle tot sind.« Immer
noch Schweigen.
»Geht’s dir schlechter?«, erkundigte sich Big Dug.
Joshua hatte seit einer Woche eine schwere Er-
kältung. Gestern hatte er Blut gehustet, und Big
Dug hatte ihn zu einem Arzt im Hill House ge-
bracht, der ihn untersuchte und ihm sagte, er
solle an diesem Tag wiederkommen. »Warst du
heute bei dem Arzt, wie er’s dir gesagt hat? Hat
er dir noch Medizin gegeben?«
»Geh weg«, lautete die Antwort.
»Ich würd dir ja eine Suppe holen, aber ich weiß
nicht, wo wir heute Abend was zu essen kriegen,
und ich hab kein Geld.«
»Ich will keine Suppe.«
Big Dug kniete sich mühsam hin und spähte in
den Karton. Joshua hatte sich in seine Decke ge-
rollt wie ein Baby. »He, was ist ’n los?«, fragte Big Dug. »Du zitterst ja.«
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»Geh weg«, sagte Joshua erneut. »Ich will jetzt
nicht mit dir reden. Ich hab nichts zu sagen. Ich will schlafen.«
»Na gut«, sagte der große Mann seufzend und
rappelte sich wieder auf. »Ich komm später noch
mal vorbei und schau nach dir.«
Als Joshua hörte, wie sich die schweren Schritte
entfernten, stieß er einen erleichterten Seufzer
aus. Er war an allem schuld, und das konnte er
Big Dug nicht sagen. Niemandem konnte er das
sagen. Sonst würden ihm alle die Schuld geben,
und Big Dug wäre nicht mehr sein Freund. Er hat-
te es nicht tun wollen. Aber er hatte diesen Ter-
min bei dem Arzt, und der hatte ihm gesagt, er
solle unbedingt wiederkommen. Joshua hatte
Angst gehabt, dass er es vergessen würde. Aber
er hatte gewusst, dass man nicht im Hill House
schlafen durfte.
»Gewiss dürfen wir nicht dulden, was heute in
Seattle geschehen ist«, sagte Reverend Jonathan
Heal in seiner allabendlichen Gebetsstunde zu
seiner Gemeinde vor den Fernsehern.
»Doch man kann verstehen, wie es dazu kommen
konnte. Mir selbst sind der Zorn und die Ver-
zweiflung vertraut, die ich fühle, weil in diesem Land Jahr um Jahr Millionen unschuldiger Babys
getötet und wie Unrat behandelt werden. Wir
müssen also die Trauer, die wir aufrechte Chris-
ten angesichts des Todes vieler unschuldiger
Menschen empfinden, verbinden mit dem Wissen,
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dass es Unrecht ist, Leben zu nehmen – auch das
ungeborene.« Überall im Land murmelten Men-
schen: »Amen.«
»Ich weiß nicht, was jene gequälte Seele getrie-
ben hat, solch eine Tat zu begehen, doch ich
werde für sie beten«, fuhr der Reverend fort, der zusehends in Schwung kam und zu schwitzen begann in seinem weißen Anzug und weißen Rü-
schenhemd. »Denn ich glaube, dass der Täter im
Grunde seines Herzens nicht nur von der Richtig-
keit seines Handelns überzeugt war, sondern
dass er auch glaubte, nicht anders handeln zu
können. Er meinte wohl, dass er auf höchster E-
bene im Sinne des Herrn handelte.«
An diesem Nachmittag und Abend wurde in den
regionalen und überregionalen Sendern über
nichts anderes berichtet als über den Anschlag
auf Hill House.
Dabei war dieser erste Dienstag im Februar kein
gewöhnlicher Dienstag. In New Hampshire fanden
an diesem Tag wie alle vier Jahre die Vorwahlen
statt, und die Wähler in diesem Bundesstaat hat-
ten sich zu den Wahlurnen begeben, um sich für
die Kandidaten der Demokratischen oder der
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