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Mein Wille geschehe

Mein Wille geschehe

Titel: Mein Wille geschehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Sloan
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Re-
    publikanischen Partei zu entscheiden. An jedem
    anderen Abend wäre dieses Ereignis, das zugleich
    den Beginn des Wahlkampfs bedeutete, in aller
    Munde gewesen und wäre auch von den Komi-
    kern abgehandelt worden. Doch an diesem Abend
    war es den Sendern nur eine kurze Meldung wert,
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    und Leno und Letterman machten keine Witze.
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    Von offizieller Seite hielt man Wort. Täglich er-
    schienen neue Meldungen über die Opfer, doch
    über die Ermittlungen wurde nicht ein Sterbens-
    wörtchen verlautbart. Die Medien suchten nach
    kleinsten Details, mit denen sie Leser und Zu-
    schauer beschäftigen konnten. Die Gerichtsmedi-
    zin, über die der Ansturm der Reporter herein-
    brach, bestätigte, dass es bislang einhundertdrei-undsechzig Opfer gab, von denen die meisten am
    Ort des Geschehens zu Tode gekommen waren.
    Vierzig schwer Verletzte befanden sich noch in
    Krankenhäusern, dreißig waren nach der Behand-
    lung entlassen worden, und etwa sechs Menschen
    galten als vermisst.
    Die Reporter lungerten auf dem Gelände des Hill
    House herum, beobachteten die Rettungsmann-
    schaften, die sich durch die Trümmer arbeiteten,
    und warteten auf neue Meldungen von Vermiss-
    ten. Sie lungerten vor den Häusern von Angehö-
    rigen der Opfer herum und bettelten um Inter-
    views. Sie lauerten vor den Krankenhäusern, um
    Verlautbarungen über neuerliche Todesfälle nicht
    zu versäumen. Am Samstag gab es die ersten
    Beisetzungen und Gedenkfeiern. Besonders er-
    greifend war die Initiative von Obdachlosen, die
    in der Suppenküche des Hill House am Hafen täg-
    lich ihre warme Mahlzeit bekommen hatten.
    Fünfhundert Menschen standen am Alaskan Way
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    unweit der Anlegestelle der Fähre, hielten Kerzen, die ein Laden am Pioneer Square gestiftet hatte,
    und beteten die ganze Nacht. Kirchen, die von
    der Lichterkette hörten, sorgten rasch dafür, dass den Teilnehmern etwas Warmes zu essen gebracht wurde. Der Gouverneur und der Bürger-
    meister nahmen an möglichst vielen Veranstal-
    tungen teil, verfolgt von den Journalisten. Die
    Politik war vorerst zweitrangig. Die Ergebnisse
    der Vorwahlen in New Hampshire und Spekulati-
    onen über den Ausgang der nächsten Vorwahlen
    in South Carolina gingen beinahe unter in der
    Berichterstattung über Seattle. Die beiden Präsi-
    dentschaftskandidaten witterten die Chance für
    einmalige Publicity, und da sie in South Carolina gewinnen wollten, taten beide ihre Absicht kund,
    nach Washington zu fliegen und sich mit den Fa-
    milien von Opfern zu treffen. Als dies dem Bür-
    germeister zu Ohren kam, wurde sofort ein gro-
    ßer Gedenkgottesdienst im Memorial Stadium im
    Seattle Center geplant.
    Aus der Region und aus dem ganzen Land trafen
    Beileidsbezeugungen ein, und die Familien der
    Opfer erhielten Geldscheine, die zu Karten und
    Briefen in Umschläge gesteckt waren. An der Bo-
    ren Avenue wurden am Zaun Blumen und Anden-
    ken niedergelegt; zunächst nur vereinzelt, doch
    bald bedeckten sie den ganzen Gehsteig.
    Joseph Heradia gehörte zu den Glücklichen, die
    unversehrt davonkamen. Und für die Ermittler
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    war er ein wichtiger Augenzeuge.
    »Ich ging gerade über die Boren«, berichtete er
    Dana wie zuvor der Polizei. »Wegen der Lorbeer-
    hecke sah ich das Gebäude nicht, aber was ich
    hörte, klang wie ein Überschallknall – wahnsinnig laut. Dann bebte die Erde unter meinen Füßen so
    heftig, dass ich fast gestürzt wäre. Ich hatte den Zaun erreicht und hielt mich daran fest, und dann flogen irgendwelche Teile durch die Luft. Ich
    betrat das Gelände, und da herrschte diese ent-
    setzliche Verwüstung.«
    »Raum vorstellbar«, sagte Dana und dachte, dass
    ihr Treffen, das etwas länger ausgefallen war,
    ihm vermutlich das Leben gerettet hatte.
    »Die Polizei hat mich gefragt, ob ich jemanden
    gesehen hätte, der verdächtig aussah, der nicht
    zur Klinik gehörte, oder der das Gelände verließ, aber ich konnte mich an nichts Derartiges erinnern. Auf so was habe ich in dem Moment nicht
    geachtet.«
    »Vielleicht fällt Ihnen in ein paar Tagen etwas
    ein«, bemerkte sie.
    Er sah sie mit leerem Blick an. »Welche Wahnsin-
    nigen jagen einen Haufen unschuldiger Kinder
    und Mütter mit Neugeborenen in die Luft? In was
    für einer Welt leben wir eigentlich? Und wenn sie wirklich so ist, warum setzt dann noch jemand
    Kinder in diese Welt?«
    »Das frage ich mich manchmal auch«, murmelte
    Dana. »Die Polizei wollte auch wissen, ob mir je-
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    mand einfiele, der etwas

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