Mein Wille geschehe
wie kurz nach Mit-
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ternacht ein Auto angelassen wurde. Er sagte
auch, er glaube, dass es sich um den Wagen Ih-
res Mannes gehandelt habe.«
»Ich kenne Mr Ram«, erwiderte Elise. »Er ist sehr nett, aber ich glaube, er hat die Nächte verwechselt.«
»Wie meinen Sie das?«
»Am Tag vorher, am Sonntag, waren mein Bru-
der und seine Frau bei uns zum Essen. Sie sind
ziemlich spät gegangen, etwa um Viertel nach
zwölf. Ich denke, das war ihr Wagen, den Mr Ram
gehört hat.«
Der Richter verkündete direkt nach Elise Lathams
Vernehmung durch Dana die Mittagspause. Etwa
vierzig Reporter eilten aus dem Gerichtssaal, um
ihre Berichte durchzugeben. Die Angehörigen der
Opfer und die Überlebenden blieben benommen
sitzen und waren sich nicht darüber im Klaren,
was sie gerade gehört hatten.
Stuart Dünn hatte Mitleid mit Elise. Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihr. Ihre Aussage wirkte
zwar glaubwürdig, doch man schenkte allgemein
der Frau eines Angeklagten selten Glauben. Nach
dem Mittagessen würde die Anklage sie ins
Kreuzverhör nehmen, und zu seinem Erstaunen
stellte Stuart fest, dass ihm die Vorstellung miss-fiel. Elise kam ihm so fragil vor, und der Ge-
schichtslehrer wollte nicht mit ansehen müssen,
dass man sie demütigte oder quälte. Allison A-
ckerman fand irgendetwas an Elise Latham un-
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sympathisch oder jedenfalls nicht vertrauenswür-
dig. Sie ahnte eine innere Kälte bei der jungen
Frau, die sich so gefällig zurechtgemacht hatte.
Oder vielleicht kamen ihr auch die Antworten zu
einstudiert vor. Allison war sich darüber im Kla-
ren, dass Zeugen vor ihrer Vernehmung Anwei-
sungen erhielten, aber von der Gattin eines Man-
nes, dem man ein solch grauenvolles Verbrechen
zur Last legte, hätte sie eigentlich mehr Emotio-
nalität erwartet. Und dann war Allison noch etwas anderes aufgefallen: Elise Latham hatte während
ihrer gesamten Aussage nicht ein einziges Mal zu
ihrem Mann hinübergesehen.
Während Joan Wills rasch draußen Sandwiches
besorgte, nahm Dana Elise unter ihre Fittiche und geleitete sie zu einem Raum neben dem Zimmer
von Richter Bendali. Die junge Frau zitterte und
wirkte, als könne sie jeden Moment zusammen-
brechen.
»Das haben Sie sehr gut gemacht«, versicherte
ihr die Anwältin. »Klar«, erwiderte Elise mit ei-
nem Achselzucken. »Aber das war der leichte
Teil. Nach der Mittagspause werde ich gemetzelt,
oder?«
»Bewahren Sie einfach die Ruhe, Sie werden es
schon schaffen.«
»Welche Ruhe? Ich hab das Gefühl, ich werd
gleich vom Zug überfahren.«
»Dann benutzen Sie dieses Gefühl«, riet ihr Da-
na. »Das wird Sie den Geschworenen sympa-
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thisch machen. Und vergessen Sie nicht, nach
jeder Frage drei Sekunden zu warten, bevor Sie
antworten.«
»Ich weiß«, sagte Elise. »Falls Sie Einspruch er-
heben wollen.«
»Antworten Sie nur auf die Fragen, die man Ih-
nen stellt, und halten Sie die Antwort kurz. Ge-
ben Sie keine zusätzlichen Informationen.«
»Das weiß ich auch«, erwiderte Elise gereizt.
»Das haben Sie mir schon x-mal gesagt.«
In diesem Moment steckte Joan den Kopf zur Tür
herein. »Kann ich dich kurz sprechen?«, sagte sie zu ihrer Kollegin. Auf ihrem Gesicht lag ein rätselhafter Ausdruck. »Natürlich«, sagte Dana und
ging mit Joan in den Flur. »Was gibt’s?«
»Ich dachte mir, du solltest das hier wissen«,
sagte Joan und reichte ihr die neueste Ausgabe
des Probe Magazine. »Ich hab’s beim Einkaufen gesehen.«
Dana sah sich selbst auf dem Titelblatt, in dem
grauen Gabardinekostüm, das sie auch heute
trug, mit Aktenkoffer in der Hand. Die schwarze
Schlagzeile verkündete: »Verteidigerin im Hill-
House-Prozess hat auch dort abgetrieben!« Dar-
unter stand: »Die Anwältin Dana McAuliffe, die
vor Gericht den Mann vertritt, der unter Anklage
steht, den Anschlag auf Hill House verübt zu ha-
ben, weil seine Frau dort eine Abtreibung vor-
nehmen ließ, hat offenbar selbst abgetrieben.
Verlässlichen Quellen zufolge war dies vor etwra
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fünf Jahren.«
»Was, zum Teufel…?«, murmelte sie.
»Ich hab noch drei andere Blätter durchgese-
hen«, berichtete Joan. »Es steht überall. Ich
weiß, dass diese Boulevardblätter das Blaue vom
Himmel herunterlügen, aber dass sie so blöde
sind zu glauben, damit durchzukommmen, hätte
ich nicht gedacht. So wie ich das sehe, haben die sich gerade eine Entschädigungssumme von ein
paar Millionen wegen Verleumdung
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