Mein wirst du bleiben /
Gesicht noch eckiger war als vor zweieinhalb Wochen beim Gespräch über Gärtner.
Damals hatte er auch Frau Hofmann das erste und bis vorhin einzige Mal gesehen. Unterwürfig war sie ihm erschienen, und auch neugierig. Wittke wirkte auch besorgter als in Hilde Wimmers Todesnacht. Aber vielleicht lag das nur an dem harten Neonlicht. Und daran, dass sie ihn mitten in der Nacht geweckt hatten. Er war die einzige Verbindung zu Gabriele Hofmann, die sie hatten. »Um was ging es bei dem Gespräch?«
»Ich sag’s kurz: Sie hat nicht nur getrunken, sondern auch Medikamente gestohlen. Ich habe ihr ein Ultimatum gestellt. Keinen Tropfen mehr. Entziehungskur. Sonst werfe ich sie raus.«
»Was für Medikamente?«
»Zuerst nur harmloses Zeug. Kopfschmerzmittel und so. Sie war oft verkatert.« Er massierte plötzlich seine Hände, als habe er selbst Schmerzen. »Ich habe darüber hinweggesehen. Aber letzten Montag hat sie ein verschreibungspflichtiges Antidepressivum und Aufbaupräparate genommen. Allerdings nicht für sich selbst.«
»Sondern?«
»Für Thea Roth.«
Freitag schrieb in sein Notizbuch. Seine Stoffhose war zerknittert. Ungewöhnlich für ihn. »Sie kennen Frau Roth also inzwischen?« Noch neben der toten Frau Wimmer hatte Wittke nicht gewusst, wer deren Begleiterin gewesen war. Vermutlich blond, vielleicht Brille, schlank – nichts als diffuse Angaben.
»Frau Hofmann hat sie angerufen und mit ihr über Frau Wimmer gesprochen. Sie hat wohl nicht gemerkt, dass die Tür zum Sprechzimmer nur angelehnt war. Das Gespräch ließ darauf schließen, dass Thea Roth die Dame ist, die Frau Wimmer immer begleitet hat.«
»Und?«
»Sie war ziemlich aufgelöst, weil Frau Wimmer nicht zu ihrem Termin erschienen ist. Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht recht, weshalb. Es kommt häufiger vor, dass Patienten Termine vergessen. Aber wie auch immer: Die beiden haben sich verabredet, Frau Hofmann wollte Frau Roth die Medikamente bringen. Was sie offenbar auch getan hat. Sie ist nämlich Punkt zwölf Uhr losgegangen, um nicht zu sagen: losgestürmt. Obwohl ich inzwischen aus dem Sprechzimmer gekommen war und ihr klar gewesen sein muss, dass ich zumindest das mit den Medikamenten mitgehört habe.«
Hatte sich Hofmann illegal ein Zubrot verdient, indem sie die Frau, die sich angeblich nicht ins Sprechzimmer traute, mit Beruhigungsmitteln versorgte? Ehrlinspiel wollte Wittke eben fragen, als der in überraschend hohem Ton sagte: »Es ist grotesk. Ich habe immer gedacht, das Fett koste sie irgendwann das Leben. Und jetzt hat es sie gerettet. Messerstiche in den Bauch … Ihre Organe waren gut geschützt, nicht wahr?«
»Das wissen wir noch nicht.« Ehrlinspiel stand auf und ging nachdenklich zum Fenster und zurück. Vor Wittke blieb er stehen. »Montag, sagen Sie. Wann genau war die Mittagspause?«
»Von zwölf bis halb zwei. Als sie zurückkam, war sie still und … Sie hatte getrunken. Ich glaube, da ist irgendetwas passiert. Sie wirkte wie ein weinerliches Mädchen, das seine Bonbons nicht bekommen hat.«
Die Kommissare warfen sich einen Blick zu. Hofmann hatte Thea Roth nicht angetroffen, weil sie um fünf vor zwölf aus ihrem Büro ins kriminaltechnische Labor gegangen war, um die Fingerabdrücke abnehmen zu lassen. »Hatten die beiden Frauen engeren Kontakt? Hat Frau Roth sich in irgendeiner Weise um Frau Hofmann gekümmert?«
Zwar unterschied Gabriele Hofmann sich wesentlich von den andern Opfern: Sie lebte nicht in der Draisstraße, war berufstätig und deutlich jünger als Gärtner und Wimmer. Aber das wäre eine Verbindung.
Wittke lachte auf. »Gekümmert? Nie und nimmer. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Hofmann das mit den Medikamenten öfter gemacht hat. Sie hat das ganze Zeug übrigens wieder mitgebracht. Sie ist normalerweise in der Mittagspause nie weggegangen.« Er stand auf, zog einen Schlüssel aus der Hosentasche und öffnete die Aktenschränke, die eine ganze Wand einnahmen. »Sehen Sie?«
Ordnerrücken an Ordnerrücken, sauber beschriftet, darunter zwei Hängeregistraturen. »Es gibt hier nichts, was ich nicht mit einem Handgriff finde.
Das
ist Frau Hofmann. Genauer gesagt: ihre Mittagspause und ihre Abendstunden. Sie bringt sich ein – zugegebenermaßen üppiges – Vesper mit und erledigt, statt sich zu vergnügen, Abrechnungen, Buchhaltung und all den Kram.« Er schloss die Schränke. »Fachlich ist sie hervorragend. Deshalb habe ich so lange nichts gesagt zu ihrem … Treiben.
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