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Mein wirst du bleiben /

Mein wirst du bleiben /

Titel: Mein wirst du bleiben / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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Kontoauszüge, die Miriams schlechte finanzielle Situation penibel dokumentierten. Schreiben vom Pflegeheim, von Versicherungen, Behörden, einem Bestatter. In der untersten Schublade fand sie es. Zuerst die Tagebücher.
Ulrich
stand in Goldschrift auf den Ledereinbänden und Jahreszahlen von 1978 bis 1989. Sie öffnete das Buch aus dem Jahr 1978. Miriams Geburtsjahr. Ihr Vater musste das alles geschrieben haben.
    Thea ist schwanger, und ich fühle nichts. Ihre Eltern sind vor zwei Monaten gestorben. Und ich fühle nichts. Sie trauert, sie heult, und dann freut sie sich wieder auf das Kind. Ich bin drei Stunden hin und her gegangen heute Nacht. Ich finde nichts, was mich rührt. Alles dreht sich.
    Thea ließ ihre Augen über die Zeilen huschen. Ihre Kehle wurde eng, ihr Mund trocken. 1982.
    Ich habe Miriam aus dem Kindergarten abgeholt. Sie hat sich an mich rangeworfen und »Papi, Papi« geschrien, aber ich habe sie abgeschüttelt. Ich ertrage es nicht. Jetzt sitzt sie in der Ecke in ihrem Zimmer und singt vor sich hin. Sie ist eine Ausgestoßene. Sie ist wie ich als Kind. Vielleicht will sie nicht leben. Sie wollte schon nicht aus dem Bauch raus damals, dann haben sie Thea aufgeschnitten. Jetzt will sie nicht sprechen. Sie passt nicht in die Welt. Sie passt nicht zu den anderen. Ich frage mich, ob sie auch schon diese Stimmen hört. Ich sollte sie fragen. Ich sollte verantwortungsvoller sein. Ich sollte sie zu meinem Arzt mitnehmen, damit es ihr bessergeht. Sonst wird sie wie ich, nein, schlimmer, ich kenne den Weg. Aber ich kann es nicht, weil sie mir nichts bedeutet. Nichts bedeutet mir überhaupt etwas.
     
    1989.
Ich habe Thea gevögelt. Sie hat gesagt, dass sie mich liebt und die Hoffnung nie aufgibt, dass ich gesund werde, aber ich liebe sie nicht, und ich liebe Miriam nicht. Sie sind da, und sie sind nicht da. Nur mein Schwanz braucht sie. Ich hasse mich. Aber auch das ist mir egal. Ich sehe, dass mein Zustand Thea quält. Ich muss gehen. Damit es ihr bessergeht.
    Sie legte die Bücher zurück, schob sie in den hintersten Winkel. Sie bekam einen Umschlag zu fassen, zog ihn heraus. Starrte darauf.
    Alles drehte sich. Die Wände lösten sich auf. Ihr war, als sacke ihr Leben in ein Meer aus flüssigem Beton, das jede Bewegung, jeden Laut, jeden Atemzug grausam erstickte. Sie sah ihre Hand. Den Umschlag.
An Miriams Mama.
Diese steile Schrift, gestochen scharf, fast unerträglich grazil. Die Schrift von Kurt Paschek. Professor Doktor Kurt Paschek.
Weiß. Das Quietschen seiner Schuhe im
OP
. Metallische Stimme. Zigarettenrauch. Pfefferminzatem. Sein Skalpell.
    Eine Ewigkeit später hatte sie es geschafft, das Papier aus dem Umschlag zu ziehen. Las. Dann übergab sie sich.
    Wie sie in ihr Zimmer gekommen war, wusste sie nicht. Nur ein Gedanke hämmerte in ihrem Kopf:
Lauf, Sonja, lauf!
Es ist aus! Er hat dich gefunden. Alles war umsonst. Und Miriam … die hatte den Brief gelesen und versteckt. Warum hatte sie nie gesagt …
    Sonja zerrte die Kleider aus dem Schrank. Schwarz. Ja, schwarz, so sah niemand sie in der Nacht.
    Als das dunkelrote Satinkleid mit dem hohen Kragen samt Plastikhülle raschelnd auf den Boden fiel, schossen ihr Tränen in die Augen.
Lauf, Sonja!
Sie zog einen dunklen Pullover und Hosen an. Kramte ihren Personalausweis und ihre zerknautschte Handtasche unter dem Sesselpolster hervor, warf Geld und Schlüssel hinein. Zuletzt das Messer.
    Auf Zehenspitzen schlich sie das dunkle Treppenhaus hinunter, glaubte, das Schlagen ihres Herzens müsste alle Nachbarn wecken. Im Keller kletterte sie auf Martins Waschmaschine.
Rette mich,
flüsterte sie und öffnete das winzige Fenster. Der Ausstieg in einen kurzen Schacht, der in den Garten hinter dem Haus führte. Weder Hanna Brock noch Kurt Paschek würde sie dort sehen. Sonja schob sich in den Durchlass, blieb mit dem Pullover hängen und spürte den scharfen Schnitt im Oberarm. Irgendwann lag sie neben dem Gestrüpp hinter dem Haus. Rappelte sich auf, durchquerte den Garten, stieg über den Zaun in den Nachbargarten, in den nächsten, immer weiter, bis sie auf die hell erleuchtete Straßenbahntrasse stieß und atemlos auf dem Radweg daneben stehen blieb. Sie sah sich um, hastete weiter Richtung Park, dort, wo Buden, Clowns und Musik getobt hatten und wo die nächste Haltestelle war.
    »So ein Zufall«, sagte jemand hinter ihr.
    Ruckartig drehte sie sich um. Die Polizistin. Brock. Sonjas Hand fuhr in die Handtasche. Schloss sich um das

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