Mein wirst du bleiben /
nächtlichen Ausflug. Währenddessen kam die Schreibkraft aus dem Büro und wieder zurück und winkte mit Roths Pass. »Franz hat mich gebeten.«
»Du kannst froh sein, dass der Verdacht sich als richtig erwiesen hat. Sonst kämst du ziemlich in Erklärungsnot.«
»Ich hätte es kaum an die große Glocke gehängt.«
»Die Brock hat dir den Kopf verdreht«, bemerkte Freitag trocken.
»Ich rufe EG an. Nur zur Sicherheit. Wenn irgendwo etwas über den Unfall gespeichert ist, dann in seinem Elefantengehirn.« Er schaltete den Telefonlautsprecher ein. Auf Rechtfertigungen hatte er keine Lust.
Der Leiter des Verkehrsunfalldienstes meldete sich sofort. EG bestätigte Thea Roths Angaben. »Ich habe das aber nur wenige Tage verfolgt. Sie lag im Wachkoma. Die Tochter war jeden Tag bei ihr.«
»Sie ist wieder aufgewacht und hat keinerlei Sprachstörungen? Keine Defekte im Bewegungsablauf, nichts?« Ehrlinspiel kannte nur Fälle, in denen die Patienten massive Einschränkungen zurückbehalten hatten. Vor seinem inneren Auge sah er Menschen, die die Arme angewinkelt und die Faust geschlossen hielten oder die sich an Gehhilfen mühsam vorwärtsschleppten. Persönlich war er aber noch nie damit konfrontiert gewesen.
»Wie gesagt, ich habe es nicht weiter verfolgt. Das gibt es aber durchaus. Auch Wunder dürfen sein. Hängt natürlich von den Verletzungen, der Betreuung und der Reha ab.«
»Okay.«
»Ihr habt ziemlich viele Unfälle im Hintergrund dieser Morde. Seid ihr eigentlich mit Charlotte Schweiger und Gärtner weitergekommen?«
»Wie man’s nimmt. Die Schweigers scheiden aus.«
»Dachte ich mir. Viel Erfolg«, beendete EG das Gespräch.
Sie gingen ins Büro zurück.
»Es ist eine Illusion.« Thea Roth rührte in einem Becher Kaffee.
Wir sind unfassbar!,
stand darauf. Der Text aus Freitags erster Todesanzeige, die er damals ausgeschnitten hatte.
»Was?« Ehrlinspiel setzte sich.
»Das Parfum. Die Illusion eines glücklicheren Lebens. Wir haben früher ein Haus gehabt. Einen Garten.« Der Kaffeelöffel schlug mit leisem Klacken gegen den Becher. »Miriam sagt, ich hätte früher nie
Kenzo
getragen. Aber ich mag den Duft.« Sie hörte auf zu rühren. »Kann ich meinen Pass wiederhaben?«
»Kopie was geworden?«, fragte Ehrlinspiel sarkastisch Franz.
Das Birnengesicht reichte das weinrote Dokument herüber. Thea Roth verstaute es in der Krokohandtasche. »Danke.«
»Ist es Ihnen nicht zu warm?« Ehrlinspiel deutete mit dem Kinn auf ihr Halstuch und zupfte vorn an seinem Poloshirt, als müsse er sich Luft zufächeln.
Ihr Blick streifte Ehrlinspiels linken Arm. Sie band das Tuch ab.
Zwei kräftige Narben zogen sich über ihren Hals und verschwanden unter dem Saum der Bluse.
»Ich bin mehrmals operiert worden. Ich mag mich nicht einmal mehr im Spiegel sehen.«
»Sagten Sie nicht etwas von Kopfverletzungen?«
»Wissen Sie, was Koma bedeuten kann? Trachialkanüle zur Beatmung. Magensonde, damit Sie nicht verhungern. Und mein Herz … Meine Brust sieht nicht besser aus.«
»Verstehe.« Er sah sie freundlich an. »Frau Roth, würden Sie uns Ihre Fingerabdrücke geben?«
»Fingerabdrücke? Aber warum denn?« Ihre Augen wurden groß. »Ich habe doch zugegeben, dass ich in der Wohnung war.«
»Ja, natürlich. Es ist nur, damit wir sie mit ein paar unbekannten Abdrücken vergleichen können, die wir dort gefunden haben. Wenn es Ihre sind, müssen wir nicht länger nach dem großen Unbekannten suchen.« Er zog den Mundwinkel hoch. »Das würde uns sehr helfen. Es ist natürlich freiwillig.«
Sie stand ruckartig auf, und der Stuhl fiel mit einem Krachen um. »Ich habe ihr nichts getan! Wenn ich sie hätte töten wollen, hätte ich das einfacher haben können. Ich hätte nicht auf der Straße gewartet, bis sie zufällig herauskommt.« Rote Flecken breiteten sich auf ihren Wangen aus. Zorn? Angst? Erklärungsnot? »Das ist doch alles … Wahnsinn!« Dann begann sie zu schluchzen, erst leise, dann heftiger, und die Flecken glänzten unter dem schmierigen Film der Tränen, der schwarz von der Wimperntusche war.
Freitag kam herüber, stellte den Stuhl wieder auf und riss ein paar Papiertücher aus der Packung. »Setzen Sie sich. Wir werfen Ihnen doch gar nichts vor.«
Sie tat, wie ihr geheißen.
»Vielleicht hat jemand Frau Wimmer herausgelockt«, sagte Ehrlinspiel. »Könnten Sie sich vorstellen, mit was?«
Still schüttelte sie den Kopf.
Wir werden zumindest den Anrufer bald haben, dachte Ehrlinspiel. Die
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