Mein wirst du bleiben /
trat zu ihr und gab ihr die Hand. »Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten. Und danke, dass Sie mit uns gesprochen haben. Herr Franz wird Sie jetzt zu den Kollegen der Kriminaltechnik begleiten und anschließend nach Hause fahren.«
Franz erhob sich ächzend, und Ehrlinspiel fragte sich, wie groß das Budget des Landes für sonderangefertigte XXXL -Größen seiner Beamten wohl war. »Soll ich zum Pressegespräch hier sein?«
»Haben Sie denn etwas zu sagen?«
»Sicher nicht, wenn es nach Ihnen geht.« Vor Frau Roth watschelte er durch die Tür, ein Teigkloß, dem jemand X-Beine verpasst hatte. Auch die Schreibkraft verabschiedete sich.
»Sag jetzt nichts«, sagte Ehrlinspiel zu Freitag, als sie allein waren. War er zu hart gewesen? Der anhaltende Misserfolg stimmte ihn verdrießlich, der Erfolgsdruck aggressiv.
»Ach, Moritz.«
Ehrlinspiel hatte manchmal Lust, einfach zu gehen. Sich auf sein Mountainbike zu setzen und loszufahren, immer weiter, bis seine Muskeln zu zerreißen drohten und die Lunge brannte, sein Atem aussetzte. Konflikte mit Freunden und im Team waren in etwa so, als ob ihn eine seiner Verflossenen mit Forderungen unter Druck setzte, die er nicht verstand, oder einer seiner Kater ernsthaft krank war und er alle paar Stunden nach Hause radelte, um nach ihm zu sehen und ihm, wenn nötig, Medikamente zu geben. Und dann war da noch dieses Flattern im Kopf, das er nicht einordnen konnte, dieses Gefühl, einen Fehler begangen oder etwas komplett falsch gemacht zu haben, es aber nicht greifen zu können. All diese Dinge, die er nicht spüren wollte und bei denen Flucht das einzige Mittel schien. Als ob sich die Konflikte nicht auf seine Schultern setzen und kichernd mitradeln würden.
»Hältst du sie für eine mögliche Täterin?« Ehrlinspiel fiel es schwer, Thea Roth einzuschätzen.
»Sie hätte die Gelegenheit gehabt. Bei Gärtner ist es schwierig, ein Alibi zu verlangen, weil wir nicht wissen, wann das Nussöl in die Milch gekippt wurde. Bei Wimmer … Die Tochter könnte ihr ein falsches Alibi gegeben haben. Vielleicht hat sie gar nicht geschlafen? Mit Sicherheit aber hat sie Angst. Hast du ihre Hände beobachtet?«
»Ihr Motiv?« Freitag verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
»Sie hat größere Schäden vom Unfall zurückbehalten. Sie weiß nicht immer, was war und was sie getan hat. Deswegen ist sie auch abwechselnd durcheinander, wütend, hilfsbereit –«
»Irre, meinst du?«
»Vielleicht hat sie Angst davor, selbst die Mörderin zu sein?«
»Möglich! Auf jeden Fall hat sie uns nicht alles gesagt.« Freitag ließ die Arme sinken. »Wir sollten noch mal mit der Tochter sprechen.«
Ehrlinspiel sah auf die Uhr. Fünf vor zwölf. Welche Ironie! Drei Stunden bis zu dem Pressegespräch. Er musste sein Statement vorbereiten. Mit den Kollegen von der TKÜ sprechen. Sich mit dem Pressesprecher und Meike Jagusch abstimmen. Eine Brücke zu Freitag bauen. Und zwar bald. »Dann komm.«
»Vielleicht hast du dann auch Futter für die Presseleute.« Freitag zog eine Schublade auf und reichte Ehrlinspiel eine Tafel Schokolade in dunkelbraunem Papier. »Selbst, wenn es bitter schmeckt.«
Ehrlinspiel musterte seinen Freund, dessen spitzbübische Miene er noch immer vermisste. »Und was sage ich sonst?«
»Die Wahrheit«, sagte Freitag.
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26
V erschwunden … geputzt … Medikamente!«
Tobias Müller versuchte, ihre hektischen Worte zu sortieren, die ihn zunehmend irritierten.
»Aber wenn sie … tot …«
Ihre Fingernägel drangen schmerzhaft durch sein Hemd, und aus ihren riesigen Augen starrten den Pfarrer Verzweiflung und Hilflosigkeit an. »Miriam, bitte!« Ruhig griff er nach ihrer Hand, doch sie ließ nicht los.
»Mama ist etwas zugestoßen! Ich weiß es! Sie müssen mir helfen!«
»Miriam, jetzt beruhigen Sie sich doch.« Endlich gelang es ihm, seinen Arm aus ihrem Griff zu befreien. »Was ist genau passiert? Ich verstehe nicht.« Er blickte zu dem gekreuzigten Jesus hinter dem Altar, auf dem das Buch mit seinen Notizen lag. Nur dir bleibt nichts verborgen, nicht wahr?, sagte er in Gedanken zu ihm.
»Niemand versteht. Mama versteht nicht. Ich verstehe Mama nicht. Sie verstehen mich nicht.«
»Vielleicht erzählen Sie mir einfach alles der Reihe nach?« Er hörte die Turmuhr schlagen. Halb eins. Michaela wäre nicht begeistert, wenn sie das Gulasch warm halten musste. Die Kinder waren heute den ganzen Tag im Hort, und sie hatten sich auf ein zweisames Mittagessen
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