Mein wirst du bleiben /
Menschen?«
»Natürlich.«
»Alte Menschen? Einsame?«
»Auch.«
Sie sah ihn an, und wieder staunte er über die bernsteinfarbenen Einsprengsel in ihren grünen Augen.
»Sie haben sich um Frau Wimmer gekümmert.«
»Das wissen Sie doch.« Ihre Hände spielten mit den Taschengriffen.
»Das ist nett von Ihnen. Die Hilfe hat Ihnen viel bedeutet, oder?«
Sie nickte.
»Bestimmt auch am Samstagabend.« Er legte Mitgefühl in seine Worte und wusste, dass sie gleichzeitig Anschuldigung waren.
»Ich habe sie zuletzt am … ich weiß nicht mehr, wann, aber auf jeden Fall beim Einkaufen gesehen.«
»Sie haben keinen Eistee mit ihr getrunken? Samstagabend?« Der Hauptkommissar lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Sie steckten in einer neuen Jeans mit Knittereffekten.
Sie ließ die Schultern sinken. Nach einer Pause zog sie die Nase hoch. Ehrlinspiel schob eine Packung Papiertücher zu ihr. Sie nahm eines. »Ich weiß es nicht.«
Freitag stützte das Kinn auf seine gefalteten Hände. »Das ist doch nicht verboten, Frau Roth. Im Gegenteil.«
Machst du also doch mit, dachte Ehrlinspiel und beobachtete Freitags Mimik. Offenes Lachen, hochgezogene Augenbrauen. Der freundliche Junge. Er würde Phase zwei der Kür einleiten: Brücken bauen. Weg von jeglichen Vorwürfen. Respekt signalisieren und Verständnis. Für einen Moment dachte Ehrlinspiel, dass er, Moritz, diese Taktik im Job besser beherrschte als privat.
»Es sollten sich viel mehr Menschen um unsere Senioren kümmern«, sagte Freitag. »Wir werden alle alt, und es gibt immer weniger, die das interessiert. Die Alterspyramide«, seufzte er und öffnete die Hände. »Warum haben Sie uns nicht einfach erzählt, dass Sie Frau Wimmer besucht haben?«
»Ich wollte … nichts mit ihrem Tod zu tun haben.« Sie wandte sich zu Freitag. Woher sie den Hinweis hatten, fragte sie nicht.
»Aber wir« – Freitag warf Ehrlinspiel einen Seitenblick zu, und seine Stimme hob sich leicht – »finden doch sowieso alles heraus.«
»Mhm.«
»Wann waren Sie denn bei ihr?«
»Ich bin um acht gegangen.«
»Über was haben Sie geredet?«
Ȇber diesen Film. Sie wollte unbedingt diesen
Elizabeth
-Film sehen. Davor habe ich ihr Heiratsannoncen vorgelesen. Und … und Todesanzeigen. Sie wollte das. Sie war ganz versessen auf Todesanzeigen.«
Ehrlinspiel bemerkte ein Zucken um Paul Freitags Mundwinkel. »Viele ältere Leute lesen Todesanzeigen«, sagte der. »Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Frau Wimmer war also ganz sorglos und wollte nicht noch einmal weg? Oder erwartete sie Besuch?«
»Weg? Wohin denn?«
»Kannte Frau Wimmer Herrn Gärtner?«, fragte Ehrlinspiel dazwischen.
»Gärtner?« Sie wandte sich zu Ehrlinspiel.
»Martin Gärtner. Ihr verstorbener Nachbar.«
Sie zupfte an ihrem Halstuch. Es war grün und blau gemustert. »Natürlich. Wir wohnen im selben Haus.« Sie ließ die Hand sinken. »Wohnten.«
»Und
Sie?
Kannten
Sie
Martin Gärtner?«
»Das haben Sie doch alles schon einmal gefragt.«
»Dann erzählen Sie es bitte noch mal. Nur fürs Protokoll.«
»Ich kannte ihn vom Sehen. Wir haben uns gegrüßt.« Sie sprach schnell. Zu schnell, dachte Ehrlinspiel.
»Sie wollten also mit Frau Wimmers Tod nichts zu tun haben. Aber Sie haben uns verschwiegen, dass Sie bei ihr waren.« Er fixierte sie. »Wollten Sie mit Gärtners Tod auch nichts zu tun haben? Was haben Sie uns da verschwiegen? Haben Sie ihn auch besucht?« Die unbekannten Fingerabdrücke, die in beiden Wohnungen gefunden worden waren.
Ihre Finger schlossen sich kurz um die Taschengriffe, dann kamen sie von Neuem in Bewegung. Ihre Hände waren gepflegt, die Fingernägel lang und weißlackiert.
Ich brauche ihre Abdrücke, dachte der Hauptkommissar. Doch der Erkennungsdienst durfte Bilder und daktyloskopische Spuren nur von Beschuldigten nehmen, nicht von Zeugen. »Sie tragen ein teures Parfum.«
Ihre Finger kamen zur Ruhe.
»Wovon leben Sie, Frau Roth?«
»Miriam versorgt mich.« Sie lächelte.
»Ihre Tochter.« Er erwiderte ihr Lächeln nicht. »Sie ist sehr fürsorglich und arbeitet bestimmt hart.« Er sah auf seine glänzende Schreibtischplatte. Registrierte, wie die Sonne durch blitzblanke Fenster auf den Sims mit dem einsamen Blumentopf und den Kaffeebechern fiel. Montagvormittag. Die Putzkräfte schufteten auch am Wochenende. Sicher kein Vergnügen.
Frau Roth nickte.
»Sind Sie verheiratet? Oder waren es?«
»Ich … ja.«
»Sind?
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