Mein wirst du sein
Zeitschrift. Ein medizinisches Fachjournal. Meine Rettung.
»Sie sind Arzt. In welchem Fachbereich?«
»Innere Medizin«, antwortete er zerstreut.
Wir unterhielten uns noch ein bisschen, bis ich meine Cola ausgetrunken hatte. Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut und wollte so schnell wie möglich weg, ohne unhöflich zu erscheinen. Außerdem hatte ich mit Marina Waldner noch ein Hühnchen zu rupfen. Und das wollte ich gern heute Abend noch erledigen.
»Lassen Sie’s gut sein«, winkte Dr. Schönborn ab, als ich den Geldbeutel aus meiner Tasche hervorkramte. »Sie sind eingeladen.«
»Danke. Das ist aber nicht nötig.« Mein schlechtes Gewissen nahm Ausmaße an, dass es ohne Probleme für den Rest meines Lebens ausgereicht hätte.
»Keine Ursache. Finden Sie nur bitte Susanne so schnell wie möglich.«
Ich nickte, unfähig, etwas zu sagen, verabschiedete mich und verließ fluchtartig den Biergarten.
Nachdenklich ging ich durch den Torbogen hinaus auf die Straße. Dr. Schönborn tat mir leid. Vermutlich würde er morgen aus der Zeitung erfahren, dass Susanne nicht mehr lebte. Ich hatte den Eindruck gehabt, dass er sie ehrlich gemocht hatte. Und auch Susanne hatte gegenüber Marina erwähnt, dass Dr. Schönborn sehr nett gewesen sei.
Marina Waldner. Was steckte hinter dieser Frau? Warum hatte sie mich so dreist angelogen?
Ich beschloss, gleich zu ihr zu fahren und ging zu meinem Auto, das vor dem ›Eiscafé Dino DeMarco‹ in Söflingen parkte. Eine lange Schlange hatte sich vor der Eisdiele gebildet, viele wollten sich nach der Arbeit bei schönem Wetter noch eine Kleinigkeit gönnen. Und das Eis war für meinen Geschmack einfach das beste der Stadt.
Ich zögerte nur kurz, eigentlich nur, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, dann stand ich am Ende der Reihe. Auf fünf Minuten kam es nun auch nicht mehr an, tröstete ich mich. Und wenn ich schon einmal hier war, durfte ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Wer konnte schon wissen, wann ich wieder in der Nähe sein würde? Da wäre es Frevel gewesen, die Möglichkeit ungenutzt verstreichen zu lassen.
Es dauerte zehn Minuten, bis ich mein Eis, dunkle Schokolade und Kaffee in der Waffel, in Händen hielt und zum ersten Mal daran leckte. Himmlisch, ein Gefühl von Sommer!
Ich setzte mich ins Auto, sah hinaus und machte mich über mein Eis her. Wenig später sah ich Dr. Schönborn durch den Torbogen des Klosterhofs treten. Er schien in Gedanken versunken und sah vor sich hin ins Leere. Armer Mann.
Sein Auto, ein Mercedes C-Klasse, stand zwei Fahrzeuge hinter meinem alten Golf. Er stieg ein, startete den Motor und reihte sich in den Strom der Vorbeifahrenden ein.
Mein Eis war aufgegessen, ich drehte ebenfalls den Zündschlüssel, setzte den Blinker und verließ die Parklücke. Zwischen mir und dem Mercedes war nur ein Fahrzeug. Wo Dr. Schönborn wohl wohnte? Bestimmt feudal in einer großen Maisonetten-Wohnung mit Blick auf die Donau. Oder in einem der Lofts, die derzeit wie Pilze aus dem Boden schossen.
Offenbar hatten wir den gleichen Weg in die Stadt. Als er geradeaus weiterfuhr, wo ich abbiegen sollte, blieb ich einem Impuls folgend auf derselben Spur und fuhr hinter ihm her.
Die Fahrt endete enttäuschend in einer Reihenhaussiedlung in Böfingen. Dr. Schönborn parkte vor einem Haus, stieg aus und verriegelte das Fahrzeug. Ich blieb etwas entfernt stehen, um nicht aufzufallen. Langsam tastete ich mich vorwärts und kam schließlich hinter dem Mercedes zum Stehen.
Wohnte er hier? Von einem Arzt hatte ich mir irgendwie mehr versprochen.
Das Häuschen war klein. Nicht unbedingt renovierungsbedürftig, aber lang warten durften die Eigentümer nicht mehr. Der Zahn der Zeit nagte unübersehbar an den Mauern.
Aus dem Haus tönten Hundegebell und das Geschrei eines Kindes. Ich vergewisserte mich, dass niemand der Nachbarn aus dem Fenster sah, stieg aus und ging zur Tür. Neben der Klingel hing ein von Kinderhand gebasteltes Schild, auf das mit wackeliger Schrift die Namen der Bewohner geschrieben standen. Daniel, Karin, Lukas und Marie Wendt stand da zu lesen, und ich fragte mich, ob Lukas der Hund oder der kleine Künstler war.
Ich ging zurück zum Auto und stieg ein. Eigentlich hatte ich zu Marina fahren wollen. Doch bis ich dort war, vergingen ohne Weiteres 20 Minuten. Und meine Wohnung lag auf dem Weg.
Ich entschloss mich, morgen zu Marina zu fahren und stattdessen noch ein bisschen zu warten, bis Dr. Schönborn wieder aus dem Haus
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