Mein wirst du sein
aus dem Rennen um den Preis als Hauptverdächtiger war er damit nicht.
›Aquarius‹ aus der Handtasche. Das auch noch. Ich wollte nach Hause. Verschwunden war das heimelige Gefühl, das mich noch kurz zuvor umfangen hatte.
Doch zu meiner Überraschung war es Sebastian.
»Sie hat mich gezwungen, dich anzurufen«, sagte er statt einer Begrüßung.
»Mutter?«
»Wer sonst?« Er klang düster. »Sie hatte Angst, dass du auflegen würdest, wenn sie mit dir redet.«
Nicht ganz zu unrecht.
»Und was sollst du mir sagen?«
»Jule, sie ist panisch. Sie hat Angst um dich. Und bitte nimm es mir nicht übel, irgendwie habe ich ihr das abgenommen. Es ist nicht die übliche Spinnerei, sie meint es ernst.«
Ich seufzte.
»Jetzt sag schon. Hatte sie wieder einen Traum?«
»Ja. Du bist in größter Gefahr. Du sollst nach Hause gehen und dich einschließen. Und niemandem die Tür öffnen. Jule, das war unheimlich!«
Toll. Genau das, was ich jetzt noch brauchen konnte. Es war wirklich an der Zeit, nach Hause zu gehen, der Abend war mir restlos verdorben. Einschließen würde ich mich nicht. Winter saß im Knast, von ihm drohte erst einmal keine Gefahr mehr, und alles andere würde sich zeigen.
Bald war es so weit, und sie würde ihm gehören. Ihm ganz allein.
Sie würde die Letzte sein, das wusste er. Sie war sein Geschenk für die jahrelangen Qualen und Bemühungen, die er hatte erdulden müssen. Sein Leiden würde mit ihr ein Ende finden.
Er war von einer inneren Ruhe ergriffen. Es musste so sein. Mit ihr würde enden, was mit Heike begonnen hatte. Auch er würde endlich Ruhe finden und sie für immer mit sich nehmen.
Es würde das letzte Mal sein, dass er eine Frau in ihrer ganzen Reinheit und Schönheit im Arm halten würde, und es würde perfekt sein, bevor sie auf ewig vereint waren. Die letzten Stunden würde er nun in Ruhe und Vorfreude genießen, ehe es so weit war, Jule mit auf die lange Reise zu nehmen.
Donnerstag
Ich schlief erstaunlich gut in der zweiten Nacht nach der Festnahme von Rafael Winter. Zwar lief der Mörder noch immer frei herum, aber für mich bestand keine Gefahr mehr. Auch wenn meine Mutter da anderer Ansicht zu sein schien. Aber wir waren ohnehin selten einer Meinung.
Außerdem spürte ich, dass die Ergreifung des Mörders kurz bevorstand. Die Schlinge zog sich enger zusammen, es war nur noch eine Frage der Zeit. Heute erhoffte ich mir im Internat einen entscheidenden Durchbruch. Ich war zuversichtlich, dass ich das Wochenende in Ruhe genießen konnte.
Das Internat Salem hatte sich auf mehrere Schlösser im Umkreis verteilt. Die Oberstufe, in der Herr Berger unterrichtete, befand sich in Schloss Spetzgart in Überlingen.
Das Anwesen war einfach zu finden, und kurz vor zehn Uhr stellte ich den Wagen auf dem Parkplatz ab.
Ein älterer Herr kam auf mich zu und sah mich fragend an. Er musste auf mich gewartet haben und war ein typischer Lehrer, trug eine graue Cordhose und ein kariertes Hemd.
Physik und Mathe, tippte ich, als ich dem unscheinbaren Mann mit grauem Bart und Lesebrille, über die hinweg er mich anblickte, die Hand schüttelte. Augenblicklich fühlte ich mich an meine eigene Schulzeit erinnert, die, zumindest in diesen beiden Fächern, alles andere als zufriedenstellend verlaufen war. Mir stellten sich die Nackenhaare auf, als ich ihn grüßte.
Andererseits war ich erwachsen und hatte einen Beruf erlernt, auch wenn meine ehemaligen Lehrer missbilligend den Kopf geschüttelt hätten, wenn sie wüssten, wie ich aussah und womit ich mein Geld verdiente.
»Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich nehmen«, sagte ich dann auch forsch.
»Das ist selbstverständlich.« Herr Berger sprach mit nasaler Stimme. »Es ist fast ein Wunder, dass sich nach so langer Zeit überhaupt noch jemand an Heike Milder erinnert. Sie können mir glauben, ich habe sie nicht vergessen. Und wenn auch nur ein Funken Hoffnung besteht, den Mörder zu finden, dann werde ich alles mir Mögliche tun, Ihnen zu helfen.«
Dann waren die Aussichten ja prima. Ich folgte ihm über den Hof.
»Ich habe mir gedacht, ich erzähle Ihnen die Geschichte bei einer Tasse Kaffee.« Ihn schien nichts aus der Ruhe zu bringen. Vermutlich hatte er dafür schon zu viel erlebt und zu viele Schüler kommen und gehen sehen.
Er führte mich in einen kleinen, verstaubt wirkenden Besprechungsraum mit gemütlichen Ledersesseln. Ich nahm Platz und wartete, bis Herr Berger mit Kaffee, Zucker und Milch aus der Küche nebenan
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