Mein wundervolles Genom
Ärzte am University College in London die Geburt des weltweit ersten »Designer-Babys« mitteilten, das frei von Mutationen im BRCA1-Gen ist. Der Vater des Kindes hatte erlebt, dass die Mehrzahl seiner weiblichen Verwandten infolge von Mutationen im BRCA1-Gen an Brust- und Eierstockkrebs gestorben war, und bemühte sich deshalb mit seiner Frau um eine In-Vitro-Fertilisation mit Untersuchung der befruchteten Eizellen. Aus den Eizellen wählten die Ärzte die aus, die keine BRCA1-Mutationen aufwiesen. Voilà – das Ende der ewigen Angst und der jährlichen Kontrolluntersuchungen bei Brustspezialisten für die nächste Generation. Kann es ein besseres Motiv geben, warum Eltern ihr Kind nach genetischen Kriterien auswählen?
Aber die kritischen Stimmen waren zahlreich. Sie argumentierten, es sei verrückt, unschuldige Föten nach der Disposition für eine Krankheit zu selektieren, die möglicherweise erst spät im Leben oder nie ausbrechen werde. Zumal wenn um eine Krankheit gehe, die behandelt und vielleicht in der nächsten Generation sogar geheilt werden könne.
Der britische Bioethiker Jacob Appel, der verpflichtende Tests von Föten auf schwere genetische Defekte fordert, darunter auch krebsfördernde Mutationen in den BRCA-Genen, stellte die Argumente der Kritiker auf den Kopf. »Verpflichtende Gentests sind nicht Eugenik, sondern kluge Wissenschaft«, lautet die provokante Überschrift seines Beitrags zu dem Thema. Appel liefert eine Kurzfassung, warum es klug ist: Erstens, Kindern die nicht geboren werden, bleiben Leiden durch Krankheit und schmerzhafte Behandlungen erspart. Zweitens, die Gesellschaft spart viel, weil zahlreiche teure Behandlungen vermieden werden. Und bei realistischer Betrachtung des Problems, so seine Schlussfolgerung, sei es eine Form von Kindesmisshandlung, kranke und behinderte Kinder auf die Welt kommen zu lassen, wenn die Technik es uns ermögliche, das zu verhindern.
Da konnten ihm viele Menschen nicht mehr folgen. Es klang zu grausam, gerade aus dem Mund eines Philosophen.
Doch wie Appel ausführt, stellen die westlichen Gesellschaften heute oft das Wohlergehen des Kindes über die Wünsche der Eltern. Wir lassen nicht zu, dass Eltern, die Zeugen Jehovas sind, verhindern, dass ihr Kind eine notwendige Bluttransfusion erhält. Wir setzen uns auch darüber hinweg, wenn Angehörige der Sekte Christliche Wissenschaft darauf bestehen, für die Gesundheit ihrer Kinder zu beten, und nicht einwilligen wollen, dass sie bei lebensgefährlichen Erkrankungen mit Antibiotika behandelt werden. »Gesetze zum Kindeswohl verbieten, dass eine Mutter ihre Tochter bewusst einem Umweltgift aussetzt, das ein 80-prozentiges Risiko, später an Krebs zu erkranken, verursacht«, schreibt Appel. 20 Warum soll es derselben Mutter erlaubt sein, ihrer Tochter in vollem Wissen eine karzinogene BRCA-Mutation mitzugeben?
Nach Appels radikaler Stellungnahme versuchte Michael LePage, Redakteur beim New Scientist, sicheren Grund zu finden. Er sprach sich dagegen aus, Gentests verbindlich zu machen. Stattdessen solle die Gesellschaft künftigen Eltern ein genetisches Screening ermöglichen, und die Eltern sollten entscheiden, ob sie von dem Angebot Gebrauch machen oder nicht. Nach Ansicht von LePage sollte ein Paar nicht darauf angewiesen sein, sich an ein kommerzielles Unternehmen wie Counsyl wenden und viel Geld für genetische Erkenntnisse bezahlen zu müssen. So etwas sei ein öffentliches Gut, und die Öffentlichkeit müsse es zur Verfügung stellen. Paaren, die sich testen lassen und erfahren, dass sie beide die gleichen Mutationen haben, könnte dann eine künstliche Befruchtung mit Selektion der gesunden befruchteten Eizellen angeboten werden.
Das zentrale Argument von beiden ist etwas, über das wir üblicherweise nicht nachdenken: die Sünde der Unterlassung. Meistens geht es in der Bioethik darum, den Einsatz einer neuen Technologie zu verbieten oder zu begrenzen, und nur selten wird gefragt, ob es unethisch sein kann, eine Technologie nicht zu nutzen. Aber wenn wir die Mittel haben, bei ungeborenen Kindern Leid zu verhindern, und sie nicht einsetzen, ist das so, wie wenn wir danebenstehen und zusehen, wie jemand an einer Krankheit stirbt, die mit der vorhandenen Technologie behandelt werden könnte.
An diesem Punkt warnen besorgte Stimmen vor dem Schreckgespenst eines Lebens wie in Gattaca, wo es gesellschaftlich inakzeptabel ist, ein Kind mit einer schweren Krankheit oder einem körperlichen Handicap
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