Mein wundervolles Genom
»illegitimes« Kind existiert, kann das mit den richtigen Unterschriften an den richtigen Stellen verschleiert worden sein, aber die Genome des Kindes und seiner Nachkommen enthüllen unfehlbar, was geschehen ist.
In den letzten Jahren hat sich eine regelrechte Heimindustrie für solche genetische Ahnenforschung entwickelt. Allein in den Vereinigten Staaten gibt es fast fünfzig private Unternehmen, die genealogischeTests unterschiedlicher Art und Qualität anbieten, es gibt internationale genealogische Organisationen, Interessengruppen und Netzwerke.
Wie bei meiner ersten Begegnung mit der hyper-erweiterten Familie hat alles mit einer Frage nach der jüdischen Identität begonnen. Und es hing mit den Kohanim zusammen, die der Legende nach direkt von der biblischen Gestalt Aaron abstammen, dem Mann, der anstelle seines aufbrausenden und stotternden großen Bruders Mose zu der Menge sprach. Ein kanadischer Nephrologe namens Karl Skorecki gehörte zu diesem Clan, und als er in seiner heimischen Gemeinde einen weiteren Kohen traf, verblüffte ihn ihre sehr unterschiedliche Erscheinung. Skorecki war ein aschkenasischer Jude mit heller Haut und osteuropäischen Wurzeln, der andere hatte einen olivfarbenen Teint und war ein sephardischer Jude mit Wurzeln in der spanischen Diaspora. Wenn die beiden Männer tatsächlich einen gemeinsamen Vorfahren haben sollten, wie es die Legende behauptete, dann musste sich ein Niederschlag in gemeinsamen biologischen Merkmalen finden lassen.
Um das zu überprüfen, wandte sich Skorecki an den Genetiker Michael Hammer. Hammer, der damals in den 1990er Jahren mit Y-Chromosomen in einem Labor der University of Arizona arbeitete, übernahm den Auftrag mit der Neugier des Forschers. Er unterzog die Y-Chromosomen von Skorecki und einigen anderen Kohanim einer detaillierten Analyse; die Ergebnisse veröffentlichte er 1997 in der Zeitschrift Nature. Der Artikel war eine Sensation, denn es bestand tatsächlich eine eindeutige enge Verwandtschaft, die auf eine gemeinsame Abstammung dieser Männer hindeutete. Hammer entdeckte auf dem Y-Chromosom ein charakteristisches Muster von Markern, das bei nicht weniger als 98,5 Prozent der untersuchten Männer auftrat; sie alle trugen den Nachnamen Cohen. Und so bekam dieses Muster prompt die Bezeichnung Cohen Modal Haplotype, kurz CMH. 9
Damit gab es einen Beweis, dass das Konzept tragfähig war: Man kann anhand von Y-Chromosomen genealogische Analysen durchführen. Der Schritt aus der Welt der Wissenschaft auf den freien Markt erfolgte aber erst 2000, als das amerikanische Unternehmen FamilyTreeDNA erstmals einen kommerziellen Test der männlichen Abstammung anbot. Ungefähr zur gleichen Zeit begann die britische Firma Oxford Ancestors, für einen Test der mitchondrialen DNA zu werben. Bald schossen weitere Firmen aus dem Boden; 2006 setzte die Branche mit solchen genealogischen Tests bereits sechzig Millionen Dollar um, Schätzungen zufolge haben eine Million Menschen bereits einen derartigen Test gekauft, und jedes Jahr kommen fast hunderttausend dazu.
Die Genealogie hängt davon ab, dass es möglich ist, Gensequenzen und Marker zu vergleichen. Das kann direkt zwischen einzelnen Individuen geschehen, die wissen wollen, ob sie miteinander verwandt sind, oder man kann genetische Merkmale einer Person mit den Beständen verschiedener Datenbanken vergleichen. Je mehr Daten eine Datenbank enthält, desto größer ist die Chance, dass neue Kunden bislang unbekannte Verwandte finden und weiße Flecken ihrer Familiengeschichte auffüllen können.
Die Amateurgenealogen bilden eine seltsame Subkultur. Sie verbringen ihren Urlaub damit, Geburtsurkunden durchzustöbern und die Inschriften von Grabsteinen abzupausen. Manche bezeichnen sie sogar als Fanatiker. Im Zeitalter der Genetik sind sie von ihren Wurzeln so besessen, dass sie tief in ihren eigenen Genomen und denen von anderen graben. Sie lernen, DNA-Sequenzen so zu lesen wie wir die Sonntagszeitung, und sie nehmen ohne jede Scheu Kontakt zu komplett Fremden mit demselben Nachnamen auf und bitten sie um eine kleine DNA-Probe.
Und man weiß, dass diese Amateurgenealogen keine Mühe scheuen, um zu ihren Beweisen zu kommen, wenn die Fremden nicht mitspielen wollen. So gibt es Berichte, dass Leute ganz unbekümmert DNA gestohlen haben, die ihre potenziellen Verwandten irgendwo zurückgelassen hatten, und sie ohne deren Zustimmung untersuchen ließen. Da war etwa die nette ältere Dame aus Florida, die der
Weitere Kostenlose Bücher