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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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der Abstammung her eine ›gewöhnliche‹ Dänin, aber Sie wollen nicht erforschen, ob eine Spur aschkenasisches Judentum dabei sein könnte? Frank klingt immerhin ziemlich jüdisch, und ich könnte Ihnen helfen.«
    Das sei sehr freundlich, erwidere ich.
    »Wir haben in unserer Datenbank mittlerweile 165.000 Männer aus 180 Ländern und können feststellen, ob Sie einfach eine westeuropäische Abstammung haben oder auch ein bisschen aschkenasische Abstammung mit hineinspielt. Aber dafür müssten Sie Ihren Vater testen lassen.«
    Ich sage ihm, dass das nicht geht, und erkläre, dass ›Frank‹ der Name meiner Mutter ist.
    »Aha. Dann brauchen wir ein Y-Chromosom aus der Familie Ihrer Mutter. Hat sie Brüder?«
    Mein Onkel lebt noch, aber ich bezweifle, dass ich von ihm eine Speichelprobe bekommen würde.
    »Ich habe beinahe fünfzehn Jahre nicht mit ihm geredet.«
    »Ach, das schaffen Sie schon. Nur zu.«
    Greenspan ist natürlich viel zudringlichere Zeitgenossen gewöhnt. Ich verspreche, es zu versuchen.
    »Sehr gut. Sagen Sie mir Bescheid.«
    Ich frage mich, ob ich das Zeug zur knallharten Ahnenforscherin hätte. Käme ich in dieser Szene zurecht? Könnte ich mich überwinden, ein bisschen »hinterlassene« DNA von meinem Onkel zu stibitzen – von einem Glas oder einer Zigarettenkippe etwa?
    Fürs Erste nehme ich meinen Mut zusammen und rufe ihn an. Das ist schon merkwürdig genug. Nach beinahe fünfzehn Jahren – ausgenommen ein zweiminütiges Gespräch vor drei Jahren – weiß ich gar nicht,was ich sagen soll. Aber dann meldet er sich, und es ist, als hätten wir vor einer Woche zuletzt miteinander gesprochen.
    »Hallo, kleine Lone!«
    Als wäre ich noch das Schuldmädchen, das mit seinen Eltern immer zu Weihnachten und zweimal jeden Sommer zu Besuch kam.
    Aber er behält die Dinge im Auge. Er hat sich immer für die Familiengeschichte interessiert, und anscheinend gefällt ihm die Aufgabe. Noch während unseres Telefongesprächs holt er das Familienalbum aus dem Regal. Darin stehen die Geburtsnamen und -daten von Großmüttern und Urgroßmüttern – lauter Dinge, die ich nie wusste. Mein Onkel liest sie vor und gibt Kommentare dazu ab, und ich skizziere am Telefon einen rudimentären Familienstammbaum.
    Ich kenne die Daten meiner Eltern, aber es überrascht mich zu hören, dass meine Großmutter mütterlicherseits 1912 in Birkerød auf der Insel Seeland geboren wurde. Ich hatte immer geglaubt, wir seien reine Festland-Jütländer, aber anscheinend ist es nicht so. Ich besitze ein paar Bilder ihrer Mutter, meiner Urgroßmutter, und erinnere mich, dass meine Mutter sie als »kleine Oma Hansen« bezeichnete. Sie war tatsächlich eine kleine Frau mit runden Backen und perfektem Mittelscheitel. Im Alter lebte sie bei meinen Großeltern, und in der Familie nannten sie alle immer beim Familiennamen ihres Ehemanns.
    »Sie kam 1868 als Gjertrud Rosenlund zur Welt«, sagt mein Onkel. Rosenlund. Ein sehr schöner Name. Nicht so hart und forsch wie Frank, ein Name, der sich unwillkürlich maskulin anhört. Rosenlund bedeutet Rosengarten und klingt viel sanfter. Während ich den Namen ein paar Mal ausprobiere, denke ich an Bennett Greenspan. Im Grunde könnte ich mich auch als eine Rosenlund betrachten. Ich habe genauso viele Gene von meiner lange verstorbenen Urgroßmutter wie von meinem Urgroßvater Frank aus derselben Generation, nur dass er mir zufälligerweise meinen Nachnamen hinterlassen hat.
    »Aber wir haben unseren Namen nicht von ihm«, höre ich plötzlich. Ich verstehe nicht. Mein Großvater mütterlicherseits hieß Frank, also muss sein Vater doch auch Frank geheißen haben?
    »Nein, er hieß Sørensen. Hans Peter Sørensen, geboren 1883 in Gjellerup.«
    Die Erklärung dafür ist ein Gesetz, das nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedet wurde und erlaubte, den Mädchennamen der Mutter anzunehmen. Mein Großvater mütterlicherseits tat das, weil er eine Bäckerei in einer Kleinstadt eröffnen wollte, in der es bereits einen Bäcker Sørensen gab. Und so gelangte der Name Frank über meine Urgroßmutter Ane Johanne Frank, geboren 1886 in Silkeborg, zu mir. Ich erinnere mich an eine große, vertrocknete Frau, die mich, als ich sie in den 1960er Jahren besuchte, ihre Tasche nach den dicken Kupfermünzen der damaligen Zeit durchsuchen ließ.
    »Interessant, nicht wahr?«, sagt mein Onkel.
    In der Tat, nur leider kann ich damit Bennett Greenspans Angebot, nach aschkenasischen Vorfahren zu suchen, nicht nutzen.

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