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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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Frauen, die die Wikinger mitnahmen, als sie an Irland vorbeikamen.
    In Europa sind noch Spuren vergangener Kämpfe zwischen den ursprünglichen Jägern und Sammlern und den zugewanderten Ackerbauern zu erkennen. Kürzlich hat ein Forscherteam berichtet, dass die bei europäischen Männern am weitesten verbreitete Haplogruppe – sie heißt R1b1b2 – von den Ackerbauern stammt, die sich vor achttausend Jahren von Anatolien her ausbreiteten. 7 Deren Y-Chromosomen sind heute bei 18 Prozent der europäischen Männer zu finden und als Haplogruppe I bekannt. Offenbar gefielen den anatolischen Bauern die Frauen der Jäger und Sammler, die sie vorfanden, denn die mitochondriale DNA der Bevölkerungsgruppen, die heute in Europa leben, lässt sich bis zu diesen Urmüttern zurückverfolgen.
    »Wir bei der National Geographic Society waren alle überrascht, dass das Interesse, sich testen zu lassen, so groß ist«, sagt Spencer Wells, als ich ihn am Sitz des Unternehmens in Washington D.C. anrufe. Offenbar macht er eine Pause zwischen zwei Expeditionen in exotische Länder und hat ein bisschen Zeit.
    »Die Jungs in der Marketing-Abteilung haben geschätzt, dass wir höchstens zehntausend Test-Sets verkaufen würden – wenn wir Glück hätten. Denn mal ehrlich, wie viele Menschen wollen heute wirklich wissen, auf welchem Weg ihre steinzeitlichen Vorfahren nach Asien oder Europa gelangt sind?«
    Tatsächlich haben sich gleich am ersten Tag, als der Test erhältlich war, zehntausend Menschen gemeldet, die genau das wissen wollten. Fünf Jahre später waren knapp vierhunderttausend Test-Sets verkauft, 85 Prozent davon an Amerikaner. Wie Wells sagt: »Für Europäer ist diese Begeisterung vielleicht schwerer nachzuvollziehen, denn sie haben immer noch eine Verbindung zu ihren Dörfern.«
    Ich überlege, was er damit meint.
    »Ihr da drüben habt das Gefühl, dass eure Verwandten schon immer in Dänemark, Frankreich oder wo auch immer gelebt haben. Als Europäer besitzt man eine ethnische Identität. In den Vereinigten Staaten ist das nicht so, da sind alle Bindestrich-Amerikaner: Afro-Amerikaner, Hispano-Amerikaner, Sino-Amerikaner oder Mischungen über die ethnischen Grenzen hinweg.«
    Aber dafür hält dieses gemischte Amerika eine Belohnung aus dem genetischen Ozean bereit: Wells arbeitet an einem Filmprojekt über ein Stadtviertel in Queens, das ethnisch besonders stark gemischt ist. Dort nimmt er DNA-Proben von zweihundert zufällig ausgewählten Bewohnern.
    »Wir finden hier, auf einem sehr kleinen Stück amerikanischen Bodens, so ziemlich die ganze Bandbreite der Menschen in Form von Haplogruppen vertreten. Und wir können ihnen allen, die nichts über ihre Abstammung wissen, eine faszinierende Geschichte erzählen«, sagt Wells.
    Aber über die fernen Vorfahren Bescheid zu wissen reicht manchen Menschen nicht aus. Ich denke wieder an die Autorin A. M. Homes, die einen Test des Genografischen Projekts bestellt hat und als Ergebnis bekam »Haplogruppe U«; damit gehört sie in die Gruppe, die als Europa-Clan bezeichnet wird. Stammmutter des Clans ist eine Frau, die vor rund fünfundfünfzigtausend Jahren lebte und deren Nachfahren sich über den Kontinent verbreiteten. »Ich habe das Gefühl, hundert Dollar für etwas ausgegeben zu haben, was ich schon wusste: dass ich mit allen Menschen verwandt bin«, schreibt Homes enttäuscht in ihrem Buch. 8
    Spencer Wells findet ihre Haltung bedauerlich. »Natürlich ist das nur ein mikroskopisch kleiner Teil ihrer Abstammung, aber immerhin, es ist ein Teil davon«, betont er eine Spur beleidigt. »Und die meisten Menschen fasziniert es. Eine Verbindung zu den ersten kleinen Gruppen moderner Menschen in Afrika zu spüren und zu der ganzen fantastischen Reise, die die Spezies unternommen hat, ist etwas Neues und Bedeutsames.«
    Ich kann gut verstehen, dass eine ob ihrer Identität verwirrte Autorin ein Wissen suchte, das direkter mit ihr zu tun hatte: Genealogie statt Anthropologie. Doch auch die Ahnenforschung bemüht inzwischen die DNA. Während Ahnenforscher früher Kirchenbücher in Sütterlinschrift durchblätterten und sich durch in Kurzschrift verfasste Volkszählungslisten ackerten, können sie heute ihre DNA und die von anderen Menschen testen lassen und bekommen dann eine eindeutige Antwort. Wer gehört wirklich zur Familie und wer nicht? Dokumente können gefälscht oder irreführend sein, aber die Zeichen, die in die DNA eingeschrieben sind, lügen nicht. Wenn irgendwo ein

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