Mein wundervolles Genom
mich ist, dass ich eine Variante besitze, die anscheinend vor »altersbedingtem geistigen Verfall« schützt. Und zwar ist das die Base T bei meinem SNP rs3758391. Es ist einleuchtend, dass sie Schutz bietet, denn sie hängt mit einer alten Bekannten zusammen: Diese Punktmutation findet sich in der Mitte eines Gens namens SIRT1, das schon lange im Fokus der Altersforschung steht. Ähnliche Versionen dieses Gens gibt es überall im Tierreich, sogar Hefezellen haben ein entsprechendes Gen, und wenn es mutiert ist, leben die Zellen länger.
Bei Menschen hat beispielsweise eine Untersuchung an tausend rüstigen Finnen über fünfundachtzig gezeigt, dass diejenigen mit mindestens einem T kognitiv leistungsfähiger und sogar tendenziell herzgesünder waren als ihre Altersgenossen ohne T. Ich bin ein bisschen verärgert, dass ich auch ein C habe – ich würde lieber zu der selteneren und mutmaßlich besser geschützten Gruppe mit zwei T gehören –, und frage mich, woher das C stammt. Ich erinnere mich nur an einen Fall von Demenz in der Familie. Die Mutter meines Großvaters mütterlicherseits war bis über neunzig gesund, aber in ihren letzten Jahren litt sie an Demenz. Sie marschierte die Flure in ihrem Altersheim entlang, wartete auf die Straßenbahn und verstand nicht, wohin ihr kleiner Junge verschwunden war. Es hatte keinen Sinn, ihr zu erklären, dass ihr kleiner Junge längst in Rente gegangen war.
»Hallo, was ist das?«
Mein Freund schaut vorbei, um einen Blick auf meinen Bericht zu werfen, und seine kurzsichtigen Augen haben natürlich gleich rs2146323 erspäht. »Das ist für einen kleinen Hippocampus verantwortlich«, sagt er fröhlich. »Das kann nicht gut sein. Soweit ich mich erinnere, spielt diese Gehirnregion bei Lernen und Gedächtnis eine Rolle.«
Ja. Ich bestätige, dass die kleine wurstartige Struktur bei beidem eine wichtige, sogar entscheidende Rolle spielt.
»Du hast den Genotyp C,C«, sagt er und liest laut vor. »Individuen mit CC-Genotyp weisen einen Hippocampus mit einem geringeren Volumen auf als Träger der Varianten T und A.«
Er sieht mich triumphierend an. Aber ich erinnere ihn daran, dass ich vor zwei Jahren mein Gehirn von ein paar Spitzen-Neurowissenschaftlern von der University of California in Los Angeles untersuchen ließ, und keiner sagte etwas von einem kleinen Hippocampus.
»Nur Glück«, sagt er, aber da ist noch mehr. »Erhöhtes Risiko für Depressionen bei diesem hier – rs3761418 auf dem BCR-Gen auf Chromosom 22. Da hast du den GG-Genotyp, und bei dem ist das Risiko für Depressionen um ein Drittel größer als bei Trägern der anderen Varianten.«
Bevor er in Fahrt kommt, klicke ich auf die entsprechende Publikation und zeige ihm, dass das Ergebnis aus einer Untersuchung an 329 japanischen Patienten stammt. »Japaner!«, sage ich nachdrücklich und erkläre, dass all diese Erkenntnisse cum grano salis zu verstehen sind: Es muss nicht sein, dass alle genetischen Zusammenhänge, die entdeckt werden und über die geschrieben wird, sich auch in der Praxis bestätigen. Eine Entdeckung muss sich in mehreren unabhängigen Studien wiederholen lassen, damit sie gilt, und auf keinen Fall kann man folgern, dass ein Ergebnis bei einer ethnischen Gruppe automatisch auch für eine andere gilt.
»Ich verstehe«, sagt er langsam. »Aber ich denke, diese Variante ist interessant im Hinblick darauf, dass du tatsächlich an Depressionen leidest, nicht wahr?«
Der Punkt geht an ihn. Zurzeit nehme ich keine Medikamente, obwohl meine Psychiaterin findet, ich sollte welche nehmen – rein präventiv. In den letzten sieben Jahren hatte ich drei behandlungsbedürftige depressive Episoden, und das reicht den Ärzten für die Aussage, dass mit hoher Wahrscheinlich weitere zu erwarten sind. Sie wissen auch, dass jede depressive Episode das Gehirn schädigt. Und, nebenbei bemerkt, ist eine Folge wiederholter Depressionen, dass der Hippocampus schrumpft.
Natürlich habe ich viel über meine Neigung zu Depressionen nachgedacht, denn sie liegt eindeutig in der Familie. Aber ich habe nicht die Energie, das jetzt weiter zu erforschen, und ganz sicher nicht, wenn ein verständnisloser Freund mir über die Schulter schaut. Stattdessen würde ich lieber über etwas lesen, worauf, wie ich weiß, Promethease großen Wert legt: die Frage, wie der Körper verschiedene chemische Stoffe und besonders Medikamente abbaut.
Bestimmte Genvarianten geben Auskunft darüber, welche Dosis man einnehmen sollte,
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