Mein wundervolles Genom
selbst nichts dazu sagen, ob ich einen Gentest machen lassen kann oder nicht, denn ihre Aufgabe ist es herauszufinden, ob ich überhaupt einen Grund habe, die Spezialisten zu behelligen. Habe ich eine hinreichend große Zahl von Brustkrebsfällen in der Familie, oder bin ich nur übertrieben besorgt? Sie stellt mir ruhig Fragen und macht sich Notizen. Dann bin ich entlassen, und sie wird die verfügbaren Informationen über die Kranken und die Toten meiner Familie zusammentragen. Wenn wir Glück haben, erklärt sie, könnte noch ein Rest Gewebe von ihnen in Alkohol oder Paraffin vorhanden sein, und eine solche Gewebeprobe könnte von der Biobank des Krankenhauses angefordert und getestet werden.
»Der Termin wird etwa eine Stunde dauern, deshalb wird keine Parkerlaubnis ausgegeben« , heißt es auf meinem Überweisungsschein, den ich einige Wochen später erhalte. Ich fahre mit dem Fahrrad zum Krankenhaus und frage mich zur Abteilung Klinische Genetik im sechsten Stock durch. Dort sehe ich hinter den Glastüren keine Patienten, nur zwei Labors und etliche Büros. In einem davon begrüßt mich eine bekannte Genetikerin, Dr. Kjergaard, und teilt mir mit, dass sie schon Hunderte von Patientinnen beraten habe. Sie öffnet meine Akte und schlägt einen professionellen, beinahe fröhlichen Ton an. Sie wirkt, als wäre sie generell guter Laune.
»Wie ich sehe, hat Ihre Ärztin Sie überwiesen. Ich habe die relevanten Unterlagen über Ihre Familie, und wir haben einen Stammbaum erstellt. Schauen Sie: Männer sind mit Quadraten bezeichnet und Frauen mit Kreisen.«
Es ist ein unglaublich schlichter Stammbaum für eine geradezu kläglich kleine Familie. Ich stehe ganz unten als leerer weißer Kreis, aber die beiden Kreise direkt darüber, die mit meinem verbunden sind, haben jeweils einen dicken Strich und einen kleinen schwarzen Punkt:die Zeichen für Krankheit und Tod. Darunter stehen die Todesdaten, und einen Augenblick starre ich schweigend auf die Jahreszahl 1984, das Todesjahr meiner Mutter.
»Ich nehme an, Sie sind vollkommen gesund?«
Was soll man auf eine solche Frage antworten? Man weiß es doch nie, und dank meines Genprofils ist mir bewusst, dass ich das eine oder andere Risiko mit mir herumtrage.
»Soweit ich weiß«, antworte ich schließlich.
Die Ärztin deutet auf meinen Stammbaum. »Nach unseren Unterlagen ist Ihre Mutter mit dreiundvierzig Jahren an Brustkrebs erkrankt.«
»Ich bin gerade dreiundvierzig geworden«, sage ich, ohne es eigentlich zu wollen. Der Satz hängt bedrohlich in der Luft.
»Ihre Großmutter bekam mit siebenundfünfzig Brustkrebs, wie ich sehe, und Ihr Großvater starb an Prostatakrebs, aber in seinem relativ hohen Alter ist das nicht ungewöhnlich. Wissen Sie noch von weiteren Fällen?«
»Nein. Wir sind nicht sehr viele.«
»In diesem Gespräch geht es darum herauszufinden, ob die Gesamtzahl der Krebsfälle in Ihrer Familie höher ist, als in einer durchschnittlichen dänischen Familie zu erwarten wäre.«
Kjergaard schaut von den Unterlagen auf und erinnert mich behutsam daran, dass Krebs eine sehr häufige Erkrankung ist und jeder Dritte damit rechnen muss, irgendwann im Leben Krebs zu bekommen. Nichts Seltenes.
»Brustkrebs ist die häufigste Form bei Frauen, jede neunte bis zehnte Frau ist betroffen. In Ihrem Fall wissen wir, dass zwei direkte Verwandte, Verwandte ersten Grades, erkrankt waren. Aber um mit Sicherheit sagen zu können, dass das vorwiegend genetische Ursachen hat und nicht einfach Zufall ist, müssen wir uns drei Generationen anschauen, und wir bräuchten mehr Krebsfälle in jeder Generation.«
Es erschüttert mich ein bisschen, dass zwei Fälle nicht genug sind, aber ich habe nicht mehr zu bieten. Die Schwester meiner Großmuttermütterlicherseits wanderte in jungen Jahren in die Vereinigten Staaten aus, ich habe keine Ahnung, was aus ihr und ihren Nachkommen wurde.
»Wie die Dinge liegen, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, dass hier etwas Erbliches im Spiel ist. Aber auffallend ist, dass Ihre Mutter so jung erkrankte.«
Eben, das beschäftigt mich ja.
»In solchen Fällen führen wir statistische Vergleiche mit Familien durch, in denen es ähnlich aussieht, und demnach ist Ihr Risiko ein kleines bisschen höher als der Durchschnitt. Sie fallen in eine Kategorie, die wir moderates Lebenszeitrisiko nennen.«
Moderates Lebenszeitrisiko – was heißt das?
»Ich gebe den Dingen nicht gern Prozentzahlen, weil das manche Leute überfordert. Ich würde
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