Mein wundervolles Genom
schwierige Arbeit. Aber wenn die Gene mutiert sind, sind die Proteine beeinträchtigt. Es ist, als käme einem bei einem Motorschaden ein blinder, einarmiger Mechaniker zu Hilfe. Manchmal gelingt die Reparatur, manchmal aberauch nicht, und in seltenen Fällen passiert etwas Schlimmes und die Kontrollmechanismen werden zerstört, die die Zelle daran hindern, wild zu wuchern. Das Ergebnis ist eine erste Krebszelle, die dann immer weiter unkontrolliert wächst.
Wenn solche Gedanken in meinem Kopf zu metastasieren beginnen, sage ich einen Satz, der in gewisser Weise immer beruhigend auf mich wirkt:
Der Tod muss eine Ursache haben.
In meiner Familie hat man diesen Satz oft gesagt. Wir hatten keine Angst vor dem Sterben, denn es bestand Konsens, dass letztlich nicht der Tod, sondern das Leben ein Jammertal ist. Wie mein Vater mit einem gequälten Lächeln immer sagte: »Ich habe kein Problem mit dem Tod. Ich hoffe nur, dass es keine Wiedergeburt gibt.«
Derart aufgemuntert, rufe ich mir ins Gedächtnis, dass niemand von uns frei von Mutationen und genetischen Schwachstellen ist – ein fehlerloses Genom gibt es einfach nicht. Diese Wahrheit wird mit den weiteren Fortschritten bei der individualisierten Genanalyse unübersehbar klar werden. Je mehr Genome entschlüsselt werden, desto mehr Menschen werden Tests und Genprofile kaufen und desto selbstverständlicher und akzeptierter wird die Vorstellung sein, dass nichts perfekt ist.
Natürlich kann es sein, dass man die Angst und ewige Sorge einfach umkehrt. Man könnte fragen, ob unser Wissen um konkrete, persönliche Krankheitsdispositionen uns nicht mit der Idee versöhnen kann, dass wir alle eines Tages aus diesem Leben scheiden. Ich denke viel darüber nach.
Das Warten erscheint unendlich lang und unsinnig. Vor allem weil ich weiß, dass die Sequenzierung von zwei BRCA-Genen mit den heutigen technischen Möglichkeiten höchstens eine Woche dauert, sind zwei Monate Wartezeit einfach übertrieben. Schließlich rufe ich Kjergaard an und frage, wie weit sie sind. Sie gibt meine Frage ins System ein und teilt mir mit, die Antwort werde in der nächsten Woche kommen. Siespürt wohl eine gewisse Nervosität bei mir, denn sie bietet mir an, dadurch Zeit zu sparen, dass sie mir den Termin für unser Gespräch per E-Mail mitteilt; das gehe schneller als ein Brief. Ich danke ihr.
Die E-Mail trifft drei Tage später ein.
»Ihre Ergebnisse liegen vor. Sie können am Montag um 15 Uhr in mein Büro kommen. Wir empfehlen, dass Sie zu dem Gespräch jemanden aus Ihrer Verwandtschaft mitbringen.«
Heute ist Freitag. Das ganze Wochenende leide ich an Durchfall.
»Sie sehen ein bisschen mitgenommen aus«, begrüßt mich am Montag die Ärztin und legt ein Blatt Papier mit zwei Unterschriften vor mich hin. »Aber glücklicherweise habe ich gute Nachrichten für Sie.«
Ergebnis der Mutationsanalyse im Hinblick auf erblichen Brust- (Eierstock-)Krebs (BRCA) , lese ich ganz oben in großen Buchstaben. Darunter das Ergebnis im Kleingedruckten: Keine pathogenen Mutationen in BRCA1 und BRCA2.
Ich habe mich langsam an den Knoten in meinem Bauch gewöhnt, aber nun löst er sich schlagartig auf. Das Büro erscheint mir warm und freundlich, und auch Kjergaard lächelt die ganze Zeit breit. Ich atme demonstrativ aus.
»Fantastisch! Ich bin der Statistik und dem Fluch meiner Familie entkommen«, sage ich tollkühn. Keine BRCA-Mutationen, stattdessen eine Analyse von deCODEme, die mir ein unterdurchschnittliches Risiko bescheinigt – ich schwebe im siebten Himmel.
»Nein, nein, so dürfen Sie das nicht sehen«, wendet Kjergaard ein. »Wir wissen nicht, was bei Ihrer Mutter und Ihrer Großmutter los war. Es könnte gut sein, dass sie einen Fehler in den Genen hatten, den wir noch nicht kennen und den sie weitergegeben haben.«
Sie betont noch einmal, dass das Angebot des Gesundheitssystems immer noch auf dem Tisch liegt: regelmäßige Kontrollen durch Brustspezialisten. Schon in Ordnung – nichts, was sie sagt, kann mir das Gefühl nehmen, zweimal freigesprochen worden zu sein.
Doch mit der Erwähnung von deCODEme habe ich Kjergaard an eine Entwicklung erinnert, die ihr nicht gefällt und über die sie nun zu diskutieren beginnt. Sie hat regelmäßig mit Leuten zu tun, die etwas von einem Chromosomenfehler oder einer Mutation gehört, sich im Internet informiert und große Angst bekommen haben.
»Sie verstehen die Information einfach nicht«, sagt sie verärgert. »Und was wird aus
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