Mein wundervolles Genom
sich schnell und drastisch ändert.
»Menschen, die dieses Jahr ein Genprofil bei Ihnen bestellen, erfahren, dass sie ein geringes Risiko für dieses oder jenes haben. Aber im nächsten Jahr haben sie womöglich ein hohes Risiko, weil die Forschung Fortschritte gemacht und herausgefunden hat, dass die bisherigen genetischen Studien nicht tragfähig waren. Ihre Ergebnisse sind sehr unsicher, und ich glaube nicht, dass das dem durchschnittlichen Kunden bewusst ist.«
Der junge Mann klingt ein bisschen aufgebracht, aber Stefánsson bürstet ihn ab.
»Das sind nun einmal die Regeln in dem Spiel. Es liegt in der Natur der Sache, dass niemand künftige Erkenntnisse voraussagen kann, aber wir müssen irgendwann auf der Grundlage des Wissens handeln, das wir hier und heute haben.«
Er erinnert mich an den Krebsforscher Bert Vogelstein von der Johns Hopkins University, der in Nature etwas Ähnliches geschrieben hat: »Die Menschen sind richtig gut darin, aus einem kleinen Stück Wissen großen Nutzen zu ziehen. Es ist wichtig, nicht abzuwarten, bis wir alles verstehen, weil das noch sehr lange dauern könnte.« 2
Sind wir nicht vielleicht zu ungeduldig? Menschen, denen ihre Gesundheit am Herzen liegt, werden nicht bereit sein abzuwarten, bis in die dunkelsten Ecken hinein alles aufgeklärt ist.
Trotzdem ist das Argument des jungen Mannes nicht von der Hand zu weisen. Es ist verblüffend, wie viele unterschiedliche Botschaften man aus ein und demselben Genom herauslesen kann, nicht weil unsere Gene sich verändern, sondern weil die Tests und Interpretationsmethoden sich ändern. Bei der Konferenz wird es nur beiläufig erwähnt, aber es gibt Probleme bei der Interpretation der Risikoeinschätzung durch Genprofile, weil die Firmen bei ihren Analysen unterschiedliche Genchips verwenden. Einfach ausgedrückt: Sie testen nicht auf die gleichen Varianten.
Manche testen im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen sieben Varianten, andere nur vier, und das bedeutet, dass ein und dieselbe Person vom einen Unternehmen ein hohes Risiko bescheinigt bekommt und von einem anderen ein niedriges Risiko. Manche berücksichtigen neun Varianten, um das Risiko für Typ-2-Diabetes zu ermitteln, andere achtzehn Varianten und sind folglich genauer.
Und dann gibt es noch die Updates. Neue wichtige SNPs werden entdeckt und kommen zu den bereits bekannten hinzu, dadurch ändert sich die Risikobewertung für ein Genom. 2009 untersuchte eine Gruppe holländischer Forscher im Auftrag der Zeitschrift New Scientist, wie sich die Bewertung des Risikos für Typ-2-Diabetes bei deCODEme verändert hatte, und in nur zwei Jahren war eine ganze Menge passiert. Die Holländer überprüften nicht einzelne Menschen, sondern führten Computersimulationen mit fast sechstausend »virtuellen Patienten« durch, die unterschiedliche Kombinationen von SNPs aufwiesen. Als deCODEme im Herbst 2007 sein Genprofil herausbrachte, bildeten acht SNPs im Gen TCFL2 die Grundlage für die Risikoberechnung; ein Jahr später erhöhten sie auf elf SNPs und 2009 auf fünfzehn. Durch diese Veränderungen rutschten vier von zehn Computerpatienten in andere Risikokategorien, jeder Zehnte wechselte die Kategorie zweimal.
Nun könnte man sagen, dass der Wechsel von einer Risikokategorie in eine andere keine große Rolle spielt, wenn man der betreffenden Krankheit ohnehin nicht wirksam vorbeugen kann. Aber sobald es um eine Krankheit geht, bei der eine präventive Behandlung für die eine Risikokategorie empfohlen wird und für die andere nicht, ist die Risikokategorie auf einmal sehr wichtig.
Hinzu kommt das Konsumentenvertrauen. Cecile Janssen von der Erasmus-Universität in Amsterdam, die für die Studie verantwortliche Forscherin, sagt, sie sei besorgt, dass die Botschaft verpuffen könnte. Wenn jemand konkrete Ergebnisse erwartet und sich sein Risiko im Lauf der Zeit verändert, egal, was er tut, verliert er die Motivation, entsprechend zu reagieren. Das ist so, wie wenn die Gesundheitsbehörden zur Vorbeugung gegen Krebs eine Empfehlung für eine bestimmte Ernährung aussprechen und sie dann wieder zurückziehen.
Die Skeptiker sagen: Lassen wir es, es ist noch viel zu früh, es ist noch nicht die Stunde der Konsumgenetik. Ganz falsch, halten andere dagegen: Der Bereich muss sich erst einmal entwickeln können, damit er nützlich wird, und das muss im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit erfolgen, sodass alle sehen, was geschieht. Die Konsumenten müssen darauf vorbereitet
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