Mein wundervolles Genom
den Fortgang ihrer Schwangerschaften auf dem Laufenden halten, Symptome vergleichen und sich genetische Informationen mitteilen können. Natürlich wird dort auch darüber diskutiert, ob sie ihre Kinder nach der Geburt testen lassen sollen oder nicht.
»Das Facebook-Format haben wir ganz bewusst gewählt«, sagt Avey. Man habe die Nutzer ermuntern wollen, die Informationen mit anderen zu teilen, um so die Grundlage für ein Umdenken beim Thema Forschung zu legen. »Das ist nicht überall populär. Es gibt einige wenige, aber sehr laute Stimmen von Forschern, die sich anscheinend allein durch die Idee bedroht fühlen, die DNA zu demokratisieren. Kürzlich saß ich mit einem von ihnen in einem Meeting, und er wurde so wütend, dass er mich beinahe angeschrien hätte: ›Sie trivialisieren die Genetik!‹« Augenrollend und kopfschüttelnd parodiert Avey den mürrischen alten Mann.
»Nein, das tun wir nicht«, fährt sie fort, »sondern wir bringen die Genetik zu den Menschen, wir wollen die Forschung für Durchschnittsbürger interessanter machen. Denn wir glauben, dass es einen Bedarf gibt an Forschung, bei der die Menschen aktiv beteiligt sind und von deren Projekten sie persönliche Informationen bekommen.«
Das scheint in der heutigen technischen und sozialen Umwelt eine beinahe unausweichliche Tatsache zu sein. Erstens werden die Instrumente zur Identifizierung genetischer Marker – von SNPs über Gensequenzen bis zum kompletten Genom – immer billiger. Und dann haben sich die Menschen im Zeitalter des Web 2.0 daran gewöhnt, auch sehr persönliche Daten anderen zugänglich zu machen. Die Internetnutzer sitzen heute nicht mehr passiv vor ihren Computern und lassen sich mit Inhalten füttern, sondern sie suchen Inhalte, teilen sie mit anderen und schaffen sogar selbst Inhalte.
»Diese Idee war von Anfang an Teil unserer Vision. Sie ist aus meiner Frustration nach vielen Jahren in der Medizinbranche entstanden«,seufzt Avey. Sie blickt mich an. »Was ist das größte Hindernis für den medizinischen Fortschritt? Die Herausforderung aller Herausforderungen?«
Auf Anhieb fällt mir nichts ein, und so lächle ich wissend, als handle es sich um eine rhetorische Frage. Avey fährt fort, anscheinend ohne mein Ausweichmanöver zu registrieren.
»Es ist die Auswahl der richtigen Patienten für jede Studie, und dann muss man dafür sorgen, dass genug mitmachen bei Studien, die notwendig sind, um ein neues Medikament zu entwickeln und zu testen.«
Ich nicke. Aus meiner Arbeit in biotechnischen Labors, eines davon ein Start-up-Unternehmen in den USA, das auf dem Gebiet der neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson tätig war, weiß ich, dass Forschung an Menschen eine gewaltige Arbeit darstellt, die enorme Ressourcen verschlingt. Ein erheblicher Teil der Kosten von einer Milliarde Dollar aufwärts, die für die Entwicklung eines neuen Medikaments vom Reagenzglas bis zur Marktreife aufgewendet werden müssen, fließt in klinische Studien, von Tierversuchen bis zu verschiedenen Phasen von Versuchen mit Menschen, um Sicherheit und Wirksamkeit zu testen.
Avey spricht mit frustriertem Gesichtsausdruck weiter. »Aber die ganze Forschungskultur ist auf dem falschen Weg. All die Forscher an den Universitäten tun so, als wären sie die Besitzer der Krankheiten, die sie untersuchen.« Akademiker im weißen Kittel, die gereizt von meinem Vorhofflimmern und meiner Sklerose sprechen. Ich werde das Problem lösen.
»Dieses Pochen auf Monopole verhindert den Austausch von Daten, und das verlangsamt alles«, sagt Avey. Vielleicht ist sie deshalb im September 2009 bei 23andMe ausgeschieden und hat die Brainstorm Research Foundation gegründet, die sich der Aufgabe widmet, die Phänotypen und Befunde von Menschen mit bestimmten genetischen Markern zu sammeln, darunter auch der Alzheimer-Marker ApoE4, den sowohl sie als auch ihr Ehemann besitzen. 7 »Weil ich diese Verzögerungen gesehen habe, wurde mir allmählich klar, dass die Patienten im Mittelpunkt stehen müssen, sie müssen die treibenden Kräfte sein und direkt eingebunden werden.«
Aveys Botschaft klingt weiß Gott warmherzig und wunderbar, aber sie hindert die Herren im Flur hinter uns nicht, weiter darüber zu diskutieren, ob die breite Masse vom Baum der genetischen Erkenntnis essen darf. Ob durchschnittliche Menschen die Unsicherheit verstehen, die sich daraus ergibt, dass genetische Daten heute noch alles andere als erschöpfend sind und dauernd
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