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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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im Hinblick auf kardiovaskuläre Erkrankungen gut mit ihnen meinen. Für Ethiker klingt diese Sorge plausibel, aber die Forschungsergebnisse widersprechen der Erwartung. Man stellte keinen Unterschied bei der Motivation der Testteilnehmer, das Rauchen aufzugeben, fest, ob sie nun die Mutation hatten, die das Risiko erhöht, oder nicht. McBride fasst zusammen: »Die Ergebnisse helfen uns vielleicht, die paternalistischen Bedenken zu zerstreuen, dass wir die Menschen vor solchen Informationen schützen müssen.«
    Paternalismus hat auch Gefahren. Kári Stefánsson erzählte in einer Podiumsdiskussion folgende verstörende Geschichte: Bei einer Studie zu Brustkrebsgenen identifizierten die Forscher von deCODE Genetics einhundertzehn Isländerinnen, bei denen sie anhand von Informationen zu ihrer Familiengeschichte darauf schließen konnten, dass sie potenziell tödliche BRCA-2-Mutationen hatten; Trägerinnen solcher Mutationen erkranken mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent an Brustkrebs. Solches Wissen kann man zu Recht als toxisch bezeichnen; die Forscher gaben es an die Gesundheitsbehörden des Landes weiter. Und nun saßen Beamte da mit Informationen, in denen es um Leben oder Tod von über hundert realen Menschen ging – womöglich kannten sie sogar einige Betroffene persönlich. Was taten sie? Nichts. Niemand nahm Kontakt zu den Betroffenen auf. Die Frauen mit den Genmutationen lebten weiter in Unwissenheit. Zwar blieb ihnen die Last des Wissens erspart, aber wären Sie nicht ziemlich verärgert, wenn die Gesundheitsbehörden Ihnen eine solche Information vorenthalten würden?
    Früher war das drängendste Problem bei der Forschung mit Menschen, sicherzustellen, dass sie anonym waren und blieben. Einzelne gaben freiwillig Informationen preis unter der Bedingung, dass sie niemals selbst davon profitieren würden und dass niemand ihnen je ihre eigenen Ergebnisse mitteilen würde. Heute klingt diese Zusicherung überholt, sie passt nicht mehr in die Zeit.
    »Ich glaube, die wichtigste ethische, rechtliche und gesellschaftliche Frage, die man im Bereich der Genetik untersuchen muss, ist die Frage nach der Übermittlung genetischer Ergebnisse an Studienteilnehmer«,schreibt Catherine A. McCarty von der Marshfield Clinic Research Foundation in dem Blog Genomics Law Report . Im selben Forum schildert der Genetiker Daniel MacArthur vom britischen Sanger Institute das hypothetische Beispiel einer Frau, die an einer Diabetes-Studie teilnimmt, und dabei finden die Forscher BRCA-Mutationen. Es wäre doch verrückt, ihr diese Information zu verschweigen, oder nicht? 6
    Linda Avey, Tochter eines lutheranischen Pfarrers aus South Dakota und Mitbegründerin von 23andMe, ist eine elfenhafte Erscheinung. Das hat nicht nur mit ihrer schlanken Gestalt zu tun, sondern mit ihrem strahlenden Lächeln und ihrer Freundlichkeit. Man hat direkt das Gefühl, dass sie eine Freundin werden könnte, jemand, mit dem man gern plaudert, dem man sich anvertraut.
    Dunkle Anzüge huschen vorüber, während wir uns unterhalten, und irgendwann in unserem Gespräch beugt sie sich zu mir und flüstert verschwörerisch: »Die Genetik ist durch und durch eine Männerdomäne, finden Sie nicht?«
    Das kann man kaum bestreiten. Der ganze Bereich wirkt vollgepumpt mit Testosteron, aufgebläht durch männliche Egos und ihre technischen Spielzeuge. Vielleicht hat deshalb 23andMe so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Das Unternehmen wurde von zwei Frauen gegründet. Avey räumt ein, dass sie allein dadurch etwas in Bewegung gebracht haben.
    Sie hat keine Scheu, den Status quo in Frage zu stellen: »Wir brauchen eine modernere Herangehensweise an ethische Probleme. Die Forschungs-Community hat den Gedanken ›wir müssen die menschlichen Versuchskaninchen schützen‹ bis zu einem schrankenlosen Paternalismus getrieben«, sagt sie. »Wir brauchen eine ganz neue Art der Forschung.«
    Das ist ein hoch gestecktes Ziel. Ich erinnere sie daran, dass 23andMe oft als »Facebook der Genetik« bezeichnet wurde – im Allgemeinen war das nicht freundlich gemeint. Die Konsumenten kaufen bei dem kalifornischen Start-up-Unternehmen nicht einfach nur ein Genprofil, sondern eine tolle, benutzerfreundliche Website, auf die sie andere Nutzer von 23andMe einladen können, um sich über die jeweiligen Vorfahren oder Krankheitsrisiken auszutauschen und Vergleiche anzustellen. Es gibt beispielsweise eine spezielle Gruppe für werdende Mütter, in der sich die Frauen über

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