Mein wundervolles Genom
man Menschen bittet, Daten über sich zu liefern? Werden sie genaue Aufzeichnungen führen? Werden sie die Fragen der Wissenschaftler verstehen und ehrlich beantworten – besonders zu so heiklen Themen wie Ess- und Trinkgewohnheiten und ob sie die Anweisungen ihrer Ärzte befolgen? Von Studienteilnehmern selbst gesammelte Daten können Forscher zur Verzweiflung treiben. Wird 23andMe etwas Interessantes bei seinen Freiwilligen finden, das traditionelle Forschergruppen mit ihren randomisierten Studien, nicht virtuellen Teilnehmern und anerkannten Universitäten nicht finden können?
»Ich glaube daran«, schreibt Daniel MacArthur in seinem Blog Genetic Future . Er hebt das wirksame virale Marketing hervor: Menschen, die bereits bei dem Projekt mitmachen, holen Freunde und Bekannte dazu. »Weil die Patientenkohorten immer größer werden und die Analysen von 23andMe immer ausgereifter, gibt es allen Grund zu erwarten, dass dieser Ansatz schließlich neue Assoziationen zutage bringen wird.« 9
Und wenn der Konzern Google, der mittlerweile an 23andMe beteiligt ist, das Unternehmen noch einige weitere Jahre finanziell unterstützt, sieht MacArthur große Chancen. »Es würde mich nicht wundern, wenndieses Forschungsmodell schließlich größere Kohorten zur Verfügung hätte als die größten akademischen Arbeitsgruppen, besonders bei nicht so häufigen Krankheiten, bei denen die Betroffenen sehr aktiv sind.«
Die ersten Ergebnisse der Forschungen mit den Usern, die sich freiwillig gemeldet hatten, wurden nicht lange nach MacArthurs Äußerungen veröffentlicht. Auf der Jahreskonferenz der Amerikanischen Vereinigung für Humangenetik in Hawaii gaben 23andMe und der leitende Wissenschaftler des Unternehmens, Nick Eriksson, die Ergebnisse bekannt. 10
Bei seinem Vortrag halten die Zuhörer im Saal den Atem an. Es stellt sich heraus, dass das Forschungsteam zusammen mit Partnern in Stanford und an der Columbia University neue genetische Spuren für drei menschliche Merkmale entdeckt hat. Was haben sie gefunden? Haben sie endlich aufgeklärt, welche Gene bei Parkinson im Spiel sind oder welche Gene auf eine Ursache für Hodenkrebs deuten? Nicht ganz. Sie haben zwei SNPs entdeckt, die stark mit lockigen Haaren assoziiert sind, einen SNP, der mit dem Niesreflex zusammenhängt, den manche Menschen bei grellem Licht verspüren, und einen SNP, der offenbar das Risiko für Asparagusanosmie erhöht: die Unfähigkeit, nach Spargelgenuss den unangenehmen Geruch der Schwefelverbindung Methanthiol im Urin zu riechen.
»Über einen großen Teil der Genvarianten beim Menschen wissen wir absolut nichts«, sagt Erikssons Team. Um Abhilfe zu schaffen, haben die Forscher sich auf zweiundzwanzig »normale Merkmale« konzentriert, wie sie in ihrer Präsentation sagen, Merkmale, für die sich bisher noch niemand interessiert hat. Mithilfe von Fragebögen haben Eriksson und seine Kollegen eruiert, ob die Freiwilligen Rechts- oder Linkshänder sind, ob sie ein dominantes Auge haben, ob sie jemals Zahnspangen trugen, ob ihnen die Weisheitszähne gezogen wurden, ob ihnen bei Autofahrten auf Landstraßen schlecht wird, ob sie eher Optimisten sind und ob sie lieber morgens oder abends Sport treiben. Etwa zehntausend Freiwillige beantworteten die Fragen. Dann mussten dieForscher nur noch an den Computer gehen und die Antworten mit den Informationen vergleichen, die sie bereits über die Gene der betreffenden Personen besaßen – Genprofile, die eine halbe Million SNPs berücksichtigen. Die Methode funktionierte offenbar: Die Forscher identifizierten eine ganze Reihe vertrauter genetischer Assoziationen – das heißt, eindeutige Zusammenhänge zwischen SNPs und körperlichen Merkmalen wie Haarfarbe, Augenfarbe und Sommersprossen.
Erikkson hat bewiesen, dass man mit Daten, die von den Nutzern selbst gesammelt und berichtet wurden, exakte Forschung betreiben kann. Aber sollte man das tun? Ist es nicht eine schreckliche Verschwendung von Zeit, Geld und wissenschaftlicher Kreativität, wenn man untersucht, was lockige Haare verursacht und was empfänglich für den Geruch von verdautem Spargel macht? Gibt es nicht dringlichere Fragen, die man den Freiwilligen hätte stellen können? Sind solche Fragestellungen nicht genau das, was Kritiker meinen, wenn sie von »Freizeitgenetik« sprechen?
Man könnte argumentieren, es sei gerade der entscheidende Punkt bei der Demokratisierung der Genetik, dass die Patienten, die Menschen, selbst Einfluss bekommen,
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